Sein "Fall" entzweite Österreich

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Kurt Waldheim: Eine Karriere und eine "Campaigne", die Wunden der Kriegsgeneration aufriss. Vom gefeierten UN-Generalsekretär zum Bundespräsidenten mit USA-Einreiseverbot.

Am 27. April 1987 kam die - in Österreich bis zuletzt als undenkbar geglaubte - Mitteilung aus dem US-Justizministerium: Kurt Waldheim, amtierender Bundespräsident der Republik Österreich, sei auf die "Watchlist" gesetzt worden. Ab sofort sei ihm die private Einreise in die USA verwehrt. Bis zu Waldheims Tod galt dieser Bann der Reagan-Administration. Der einstige Generalsekretär der Vereinten Nationen sollte New York nie mehr sehen.

Alles begann am 3. März 1986 mit der Schlagzeile "Waldheim und die SA": Eine im Staatsarchiv entdeckte "Wehrstammkarte" habe den Zögling der Diplomatischen Akademie des Jahres 1938 zweifelsfrei als NSDAP- und SA-Mitglied entlarvt. Die Nachricht aus Wien traf den Wahlkämpfer Waldheim in Oberösterreich völlig unvorbereitet. "Die Presse" war damals dabei. Noch glaubte er, dementieren zu können. Waldheim leugnete, je bei einer SA-Reiterstandarte gewesen zu sein oder beim NS-Studentenbund. Wenn, dann habe man die Reiterstandarte ohne sein Wissen einfach der SA einverleibt. Aber das war ja erst der Anfang.

Es kam noch dicker: Der Jüdische Weltkongress lieferte Material, wonach der Weltkriegs-Leutnant Waldheim als Dolmetsch in die Deportation von 40.000 Juden aus Saloniki involviert gewesen sein musste. "Ich schwöre Ihnen, dass ich nie auch nur das Geringste damit zu tun hatte", versicherte der VP-Kandidat.

Der World Jewish Congress

"Soll ein ehemaliger Nazi und Lügner Vertreter Österreichs sein?" So fragte am 24. März 1986 Israel Singer vom World Jewish Congress. In dieser Tonart gestaltete sich der gesamte Wahlkampf. Selbst in der SPÖ regten sich besorgte Stimmen über das, was da ohne Not losgetreten wurde.

Das Waldheim-Büro dementierte zwar jegliches Wissen um Kriegsverbrechen, aber es war unbestreitbar: Waldheim hatte - etwa in seiner Autobiografie - die unerquicklichen Monate seines Kriegseinsatzes auf dem Balkan, wo die deutschen Truppen General Löhrs im Kampf gegen Partisanen standen, mit Schweigen übergangen. Weil er dies für unwesentlich gehalten habe, verteidigte er sich.

Bei der SPÖ, die ja größtes Interesse an einer Waldheim-Niederlage haben musste, blieb es verdächtig still. Die Lawine war ins Rollen gebracht worden - jetzt sollte sie den Kandidaten vernichten. Doch die völlig überdrehten Anschuldigungen samt gefälschten Dokumenten aus Belgrad hatten den gegenteiligen Effekt: Mit 53,89 Prozent der Stimmen gewann Waldheim das Rennen um die Hofburg. "Jetzt erst recht!", hatte die ÖVP plakatieren lassen.

Der Verlierer hieß Fred Sinowatz, Bundeskanzler und (was in dem Zusammenhang viel wichtiger ist) SPÖ-Vorsitzender. Tags darauf trat der Kanzler zurück. Und Waldheim zog in die Hofburg ein. In seiner ersten Pressekonferenz nach der Wahl sah sich Kurt Waldheim harten Fragen ausländischer Berichterstatter ausgesetzt. "Es wird Ihnen nicht gelingen, mich zu einem Nazi zu machen", sagt er. Wie denn auch? Er, aus christlichsozialem Elternhaus stammend, dem NS-Regime distanziert gegenüberstehend?

Einsam in der Hofburg

Da half es nichts, dass sich Lord George Weidenfeld schützend zu Wort meldete und Nazi-Jäger" Simon Wiesenthal für ihn sprach. Eine internationale Historikerkommission fand keinerlei konkrete Schuldbeweise - voll rehabilitiert wurde Waldheim von den Historikern und der Weltmeinung deswegen aber auch nicht. Wichtige Passagen seiner Vita habe er auf die leichte Schulter genommen, so lautete das Urteil.
Das Nachspiel war bitter. Nicht nur für Waldheim, der sechs Jahre in "seiner" Hofburg isoliert saß und mühsam versuchte, Haltung zu bewahren. Auch für den burgenländischen Landeshauptmann Theodor Kery und den inzwischen pensionierten Bundeskanzler Sinowatz: Für beide setzte es hohe Geldstrafen wegen falscher Zeugenaussagen.

Nach sechs Jahren im Amt verzichtete Waldheim dankend auf eine zweite Amtszeit. Die Bitternis der Vorgänge, der Imageverlust Österreichs im Ausland, die Entfremdung der beiden Großparteien - all das wirkte noch lange nach. Im Jahr 2000, bei der Regierungsbeteiligung der FPÖ Jörg Haiders, sollten die Nachwehen allzu deutlich spürbar werden.
Doch der "Fall Waldheim", der die Österreicher so allergisch gegen das Ausland werden ließ - er hatte auch ungeahnte und ungeplante positive Auswirkungen. In vielen Familien wurde ein Tabu gebrochen - aus dem Schweigen der Väter und Großväter über die Katastrophe des 20. Jahrhunderts wurde ein erregter, aber oft auch reinigender Diskurs. Nein, sie waren eben keine Helden des Widerstands, sagten tausende Familienväter den längst erwachsenen Söhnen. Man musste gehorchen, man tat seine Pflicht, so war das. Aber Verbrecher, Mörder gar - nein! Waldheim war einer von ihnen. Der wollte hauptsächlich sein Studium beenden, er nützte jede Chance, von der Front wegzukommen. So hätte er argumentieren müssen. Man hätte ihm geglaubt.

Nach 1945 wollte man vergessen. Möglichst rasch. Auch Kurt Waldheim. Er wollte Karriere machen. Sie trug ihn in die höchsten Höhen. Als Legationsrat nahm er an den Abschlussverhandlungen um den Staatsvertrag teil, wurde Leiter der politischen Abteilung im Außenamt, schließlich Österreichs Botschafter bei den UN in New York.

1968 holte VP-Kanzler Josef Klaus den "Nullgruppler" als Außenminister nach Wien zurück. Er erwarb sich das Vertrauen Italiens, eine wichtige Vorbedingung für eine gütliche Lösung des Südtirolkonflikts.

Die USA gingen auf Distanz

1971 - Kreisky hatte inzwischen die Regierungsgewalt übernommen - kandidierte der weltläufige Diplomat für das Amt des Bundespräsidenten. Aber er unterlag dem Amtsinhaber Franz Jonas mit 47,2 Prozent der Stimmen. Und ging wieder nach New York. Mit Hilfe Kreiskys und der blockfreien Staaten wurde Österreichs Botschafter im Dezember 1971 als Nachfolger U Thants Generalsekretär der Vereinten Nationen. Ein eifriger Vermittler an den weltpolitischen Brandherden, wurde er 1976 für weitere fünf Jahre im Amt bestätigt. Die anfängliche Begeisterung der USA für den eloquenten Diplomaten hatte sich inzwischen in merkliche Distanz gewandelt. Nicht immer hatte Waldheim den Wünschen Amerikas entsprochen, im Nahostkonflikt nicht eindeutig und vorbehaltlos die Position Israels vertreten. Washington rückte ab von Waldheim, und 1982 kam ein willfähriger Nachfolger in den New Yorker Glaspalast: Der Peruaner Perez de Cuellar.

Damit war Waldheim als hochbezahlter UN-Pensionist für die Heimat  wieder frei. Und so stellte ihn die Volkspartei 1986 ein zweites Mal als Präsidentschaftskandidaten auf. Der Rest ist Zeitgeschichte. Bei seiner Verabschiedung durch die Bundesversammlung gestand der damalige Nationalratspräsident Heinz Fischer ein, man habe "dem Menschen Waldheim Unrecht" angetan.

15 Jahre lebte er noch als Staatsoberhaupt a. D. Bei jedem offiziellen Anlass stand ihm ein Ehrenplatz zu, jetzt erst genoss er jenen Respekt, den man ihm in der aktiven Zeit verwehrt hatte. Für Waldheim selbst war das alles nur eine gelinde Genugtuung. Für ihn kam sie zu spät.

Am 14. Juni ist Waldheim im 89. Lebensjahr gestorben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.06.2007)

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