Jedes Land hat seine Pisa-Probleme

Europäische Bildungsexperten analysieren den großen OECD-Schülertest.

WIEN (ewi). „Pisa zufolge Pisa/Pisa According Pisa“ lautet der Band, für den Stefan T. Hopmann, Gertrude Brinek und Martin Retzl – alle aus dem Institut für Erziehungswissenschaften der Universität Wien – als Herausgeber verantwortlich zeichnen (420 Seiten, LIT-Verlag Wien/Berlin). Insgesamt 18 Autoren aus sieben europäischen Ländern gehen auf die Rezeption der Pisa-Studie in europäischen Ländern ein.
Deutschland. Didaktik-Professor Thomas Jahnke (Uni Potsdam) sieht die Gefahr der Etablierung einer „Teaching-to-the-Test“-Kultur. Die Analyse einzelner Aufgaben zeige, dass der Großteil didaktisch unsachgemäß und zum Teil direkt fehlerhaft konstruiert ist. Joachim Wuttke (Forschungszentrum Jülich) weist darauf hin, dass in den Teilnehmerstaaten die Einbeziehung von Kindern mit Lernbehinderungen sehr unterschiedlich vorgenommen werde und auch die Teilnahmequoten stark variieren. Die Pisa-Vergleiche seien daher „methodisch unhaltbar“.
•Dänemark. Angesichts der unterschiedlichen Wertesysteme in den Vergleichsländern sei Pisa „kein neutraler Test objektiver Fähigkeiten“, sagt Jens Dolin (Uni Kopenhagen). Die Studie ziele auf einen bestimmten Typus von Bildung ab, der in Dänemark höchst umstritten sei. Deswegen müsse das Potenzial, das Pisa nun einmal habe, weiter entwickelt werden.
•England. Die Zusammenstellung der getesteten Klassen und Gruppen werde inadäquat gewichtet, stellt SJ Prais (Uni Birmingham) fest, zudem habe sich gezeigt, dass Schüler mit geringem Leistungsniveau in vielen Ländern den Tests fernbleiben.
•Finnland. Das gute Abschneiden Finnlands erklärt Michael Uljens (Vizedekan der Åbo Academi University) damit, dass die Fragen den Stoff abdecken, der zuvor in der Schule gelernt wurde. Der Spitzenrang decke aber andere Probleme zu, etwa die hohe Drop-Out-Rate in den höheren Klassen und die hohe Jugendarbeitslosigkeit des Landes.
•Norwegen. Die Pisa-Schwachstellen würden in der „systematischen Verleugnung der Diversität der Kinder“ liegen, sagt Gjert Langfeldt (Uni Agder). Die Test-Items seien nicht repräsentativ für die unterschiedlichen Wissenskulturen, da der weitaus größte Teil aus englischsprachigen Ländern stamme, daher seien auch vier der sechs besten Teilnahmestaaten englischsprachige Länder.
•Frankreich. Die üblichen französischen Tests und die Pisa-Erhebung hätten unterschiedliche Messsysteme, die französischen Ergebnisse könnten damit nicht dem Pisa-Ziel entsprechen, analysiert Antoine Bodin (Mathematik-Forscherin, Paris).
•Österreich. Aufgrund der Übersetzungen seien manche Wörter in einigen Sprachen schwieriger zu erfassen, der Schwierigkeitsgrad sei daher nicht für jede Wissenskultur gleich, sagt Markus Puchhammer (TU Wien). „Damit scheitert der Anspruch von Pisa, faire internationale und damit sprachübergreifende Vergleiche zu ermöglichen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.11.2007)

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