Kot, Krieg, Ökonomie

In der Hauptstadt, Maputo, herrscht Goldgräberstimmung. Der Rohstoffreichtum lockt Investoren an. Sobald man aber die Stadt verlässt, ist alles ganz anders. Mozambique: Lokalaugenschein im Süden Afrikas.

Der Himmel zeigt sein strahlendstes Blau. Der Indische Ozean hat ein schmutziges Braun. „No cacar a praia!“ steht auf einem rostigen Schild, an einem Strand in der mozambiqueanischen Hafenstadt Beira, der zweitgrößten Stadt des Landes. David lacht über das Schild: „Daran hält sich keiner. Geben Sie doch bitte acht, wo Sie hinsteigen!“ Er spricht ein überaus gepflegtes Deutsch, mit einer Färbung, die verrät, wo er es gelernt hat: in der DDR.

Es ist Markt hier. Ein sogenannter Free Market. Und eine olfaktorische Herausforderung. Zwischen mit Müll gefüllten Einbäumen aus Holz sitzen bunt gekleidete Frauen vor unzähligen Steigen mit Tomaten. Auf kleinen Ständen werden getrocknete Fische, Mangos, Tomaten, Zahnpasta, Kleidung, stark riechende Wurzeln und Kräuter für die Naturheilkunde verkauft. Auf dem Boden – die besagten Kothaufen, dazwischen Müll jeder Art, zerquetschte Tomaten, tote Fische. In eines der Schiffwracks, die am Strand liegen, ist eine vielköpfige Familie eingezogen und hat die Kajüte frisch gestrichen. In einer Hafenkneipe sitzen Männer beim Vormittagsbier. Vor seiner Hütte hockt einer am Boden und zerlegt Transistorradios.

Davids Geschichte gäbe Stoff für einen Roman: 1982, im Alter von zwölf Jahren, wurde er ob seiner guten Schulleistungen auserwählt, an einem deutsch-mozambiqueanischen Freundschaftsprogramm teilzunehmen. Damals war Mozambique erst seit sieben Jahren unabhängig, seit fünf Jahren herrschte Bürgerkrieg, zwischen der von der Sowjetunion unterstützten Frelimo und der Guerillaorganisation Renamo, installiert von den Apartheidregimes Rhodesiens und Südafrikas, die um jeden Preis einen marxistischen Staat in der Nachbarschaft verhindern wollten. Der junge David wurde aus seiner Familie gerissen und in die Nähe von Magdeburg geschafft, in ein Land, dessen Sprache er nicht sprach und von dem weder er noch seine Familie zuvor je etwas gehört hatten. In der DDR wurde er zum Nachrichtentechniker ausgebildet und später zum Pädagogen. Kontakt zur Familie daheim gab es nicht.

Dann war Schluss mit der DDR und damit auch mit der Hilfe für Bruderländer. Als David wieder heimkam, fand er ein ziemlich verändertes Land vor: Der Bürgerkrieg war beendet. Schon 1987 hatte sich Frelimo, die das Land unter ihrem Führer, Samora Machel, in die Unabhängigkeit geführt hatte, von der sozialistischen Planwirtschaft verabschiedet, war Weltbank und Währungsfonds beigetreten und hatte sich darangemacht, die ökonomischen Folgen des Bürgerkriegs durch Umsetzung von Strukturanpassungsprogrammen zu bewältigen. Davids Wiedereinstieg in die Gesellschaft war nicht leicht. Heute arbeitet er im Koordinationsbüro der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit in Beira. Irgendwann gründete er einen deutsch-mozambiqueanischen Verein, dessen Mitglieder allesamt das gleiche Schicksal hatten wie er. Einer suchte nach seiner Rückkehr aus der DDR zwei Jahre lang nach seinem Vater.

Die Stadt der Wracks

Beira, das ist die Stadt der Wracks und Ruinen. Nicht nur am Schiffsfriedhof, wo seit dem Ende der portugiesischen Kolonialherrschaft einst stolze Ozeandampfer vor sich hinrosten, Straßenkindern Unterschlupf bieten und immer noch auf Verwertbares hin ausgeschlachtet werden. Kurz bevor die Portugiesen 1975 aus dem Land geworfen wurden, hatten sie noch das Hotel Grande errichtet. Eine riesige Luxusanlage mit Swimmingpool, in bester Lage, Blick aufs Meer. Kaum zu glauben, aber Beira war einst ein beliebter Touristenort. Heute flattert bunte Wäsche an den Fenstern des Hotel Grande, Kinder spielen auf der pompösen Eingangstreppe. Rund 2000 „Hausbesetzer“ leben seit Jahren hier – ohne Strom, ohne Wasser, ohne Sanitäranlagen. Die Lichtschächte werden als Toiletten benützt. Immer noch ist Beira die wichtigste Hafenstadt Mozambiques, obwohl die Fahrrinne für die Schiffe täglich ausgebaggert werden muss, weil sie versandet, und der Hafen von Maputo dank internationaler Investoren ziemlich aufholt. Von Beira führt seit 1903 eine Bahnlinie direkt ins Innere Afrikas. Da waren die Briten dahinter, die sich Beira ohnehin gerne einverleibt hätten. Kolonialherren unter sich. Der Nachbarstaat Zimbabwe, das einstige Südrhodesien, war bis 1980 britische Kolonie. So wichtig war Beira, dass Mozambique und Zimbabwe nach ihrer Unabhängigkeit gemeinsam Hafen, Straße und Bahn ausbauten und den Beira-Korridor auch während des Bürgerkriegs in Mozambique freihielten.

Heute hat diese Verbindung den Beinamen „Aids-Korridor“. Beira hat mit über 25 Prozent die höchste Aidsrate im Land.

Gerade einmal eine Handvoll einheimischer Akademiker gab es in ganz Mozambique, als die Portugiesen das Land in völlig desolatem Zustand Hals über Kopf verließen. Heute finden sich in der Hauptstadt, Maputo, sieben und in Beira vier Universitäten, deren Absolventen sich jedoch angesichts einer Arbeitslosenrate von 85 Prozent zumeist mit irgendwelchen Jobs über Wasser halten müssen. Andrerseits gebe es Lichtblicke, seit die Opposition hier regiere, meint Stefan Schmidt-Hayashi, der seit Jahren hier lebt und über die Firma Ecotec Infrastrukturprojekte der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit abwickelt. Häuser würden wieder angestrichen, Straßen repariert und das Abwassersystem funktioniere.

Bürgermeister Davis Simango ist jedenfalls davon überzeugt, dass Beira die am besten regierte Stadt in Mozambique ist. Obwohl Beira von der Zentralregierung schlimm vernachlässigt und ausgehungert werde, wie er klagt. Davis Simango ist einer von fünf Renamo-Bürgermeistern im Land. Der Besuch bei ihm liefert ein anschauliches Beispiel dafür, wie tief die Kluft zwischen Frelimo und Renamo immer noch ist. Simango wird nicht müde, Frelimo wegen unsauberer Machenschaften anzuklagen. Seine Vorwürfe reichen von Korruption bis hin zum Auftragsmord. Mitglieder von Renamo würden politisch und ökonomisch diskriminiert, jene von Frelimo hingegen in allen Bereichen bevorzugt, wo der Staat etwas mitzureden habe. Also eigentlich überall.

Naturgemäß anderer Meinung ist Madula Feniasse Sona, ein ehemaliger Kämpfer der Frelimo. Er lebt in einem kleinen Dorf im Distrikt Buzi in der Provinz Sofala. Zum Interview wird er direkt von der Feldarbeit geholt und kommt auf einem roten Motorrad angeknattert. Die Arbeit auf der Farm hat ihm Frelimo verschafft. Außerdem erhält er eine monatliche Veteranenpension in der Höhe von umgerechnet rund 95 Euro. Kein Wunder, dass er voll des Lobes über Frelimo ist. Die Spannungen zwischen Frelimo und Renamo existierten nur auf der politischen, nicht aber auf der persönlichen Ebene, meint der ehemalige Kämpfer, und er erzählt von Freunden, die Renamo angehörten. Ende 2004 wurden zum dritten Mal seit Ende der Einparteienherrschaft freie Wahlen in Mozambique durchgeführt. Als Sieger ging abermals die Frelimo hervor. Frelimo gewinne alle Wahlen, weil es Renamo noch nicht geschafft habe, sich als demokratische Partei zu etablieren, meint Carlos Jeque. Der Jurist und politische Beobachter, der bei einer staatlichen Bank in Maputo arbeitet, hat bereits zweimal selbst bei Urnengängen kandidiert – um aufzuzeigen, dass es Alternativen gebe, wie er sagt.

90.000 Justizfälle unerledigt

Carlos Jeque prangert vor allem die weit verbreitete Korruption im Land an und das Nichtfunktionieren des Justizapparats – rund 90.000 Justizfälle seien derzeit unerledigt, etwa 10.000 Fälle pro Jahr können die Behörden behandeln. Leicht auszurechnen, wie lange es dauern wird, bis der Rückstand aufgearbeitet ist.

Die Angst vor der Kriminalität in Maputo ist groß. Keine Institution, kein „besseres“ Privathaus, kaum ein Restaurant, vor dessen Eingang nicht mindestens ein bewaffneter Wächter eines privaten Wachdienstes steht. Gar nicht zu sprechen von ganzen Stadtvierteln mit Wohnhäusern, Restaurants, Supermärkten und Spielplätzen, die sich durch hohe Zäune, Schranken und Wachmannschaften abschotten.

„Ich würde mich auch überfallen“ meint der schwedische Schriftsteller Henning Mankell, der Mozambique zu seiner zweiten Heimat gemacht hat. Er hat seine eigene Meinung zur angeblichen wirtschaftlichen Erfolgsgeschichte Mozambiques, von der heute viele angesichts eines Wirtschaftswachstums von rund sieben Prozent sprechen, und wettert gegen ungerechte Verteilung und die Sünden der Vergangenheit: „Mozambique wurde von den Portugiesen zu einem armen Land gemacht!“

Cashewnüsse und die Weltbank

Und die Vorgaben von IWF und Weltbank waren auch nicht immer klug. So wurde die einst florierende Cashewnuss-Industrie in den Ruin getrieben. Auf Verlangen der Weltbank wurden Mitte der Neunzigerjahre die staatseigenen Betriebe zur Verarbeitung der Nüsse privatisiert. Danach stellte die Weltbank fest, dass die Industrie ineffizient sei und fortan unverarbeitete Cashewnüsse nach Indien exportieren müsse. Dies wurde zur Bedingung für weitere Kredite gemacht. Die Regierung in Maputo sah sich gezwungen, das bisherige Exportverbot für unverarbeitete Cashewnüsse aufzuheben. Infolgedessen musste ein Großteil der Betriebe seine Produktion einstellen. Rund 10.000 Arbeitsplätze wurden vernichtet.

Heute ist vor allem in der Hauptstadt eine Art Goldgräberstimmung auszumachen. Das rohstoffreiche Land lockt Investoren an – vor allem aus dem benachbarten Südafrika, aber auch aus Großbritannien, Australien und neuerdings verstärkt aus China. Da werden claims abgesteckt, und es wird darauf gehofft, dass die Regierung bald Ernst macht mit der Beseitigung aller Hürden für Investoren. Die Hoffnung scheint berechtigt. Denn die früheren Genossen üben sich heute in Pragmatismus. Beispiel dafür ist ein neues Arbeitsgesetz. Denn das bisherige wurde von Weltbank, Investoren und potenziellen neuen Arbeitgebern als zu konservativ, im Sinne von zu arbeitnehmerfreundlich kritisiert. Manchen geht der Kompromiss zwischen Regierung, Gewerkschaft und Arbeitgebervertretern zu wenig weit. Die Reformen könnten größer sein, was Entlassungen und Feiertagsregelungen betreffe, meint etwa die Dame vom Weltbankbüro in Maputo, die jedoch weder namentlich genannt noch zitiert werden möchte.

Krass sichtbar wird die Armut, wenn man die großen Städte verlässt. Auf dem Land ist nichts von einer wirtschaftlichen Erfolgsgeschichte zu bemerken. Österreich ist eines von vielen internationalen Geberländern. In der Provinz Sofala werden Projekte auf den Gebieten Demokratisierung, Infrastrukturaufbau, Dezentralisierung und ländliche Entwicklung, Förderung von Kleinbauern sowie Wasser- und Siedlungshygiene durchgeführt. Und Österreich leistet Budgethilfe an Mozambique, lässt also Zuschüsse direkt in den Staatshaushalt fließen. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.07.2007)

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