Kein Kuss für Mom

Die neue politische Macht der Frauen: Sieg der Emanzipation oder Krise der männlichen Eliten? In jedem Fall eine Ver- unsicherung, die in die Tiefenbereiche der männlichen Psyche reicht.

Kann-di-dat?“ Der Titel der „Süddeutschen Zeitung“, als Angela Merkel zur Kanzlerkandidatin gekürt wurde, traf den allgemeinen Tenor der Medien. Kann denn eine Frau überhaupt Kanzler werden, hat sie denn alle psychischen Fähigkeiten und intellektuellen Kompetenzen, um die Macht auszuüben, die Macht, die doch „naturgemäß“ den Männern zusteht?

„Kann-di-dat“ war das Stichwort für die Rückkehr aller Geschlechterstereotypen, aller Klischees von „Männlichkeit“ und „Weiblichkeit“, die man seit den Siebzigerjahren für überwunden geglaubt hatte: der rational-kreative Mann, der in der Wirtschaft und in der Politik seinen „natürlichen“ Wirkungsraum finde, die emotional-passive Frau, die sich „naturgemäß“ in Haus und Familie entfalte.

Angela Merkel widersetzte sich in beiden Punkten dem Klischee: Sie stellte den Anspruch auf die Macht – zuerst innerhalb der CDU, dann im Staat Deutschland, und sie war nicht bereit, sich den gängigen Medienklischees von „Weiblichkeit“ anzupassen. Solche Widersetzlichkeit wird weder von den Männern an der Macht noch von den Medien, an deren Schaltstellen bekanntlich auch noch immer mehrheitlich Männer sitzen, honoriert. Im Gegenteil. Kaum eine Frau wurde vor ihrer Machtergreifung so niedergeschrieben wie Angela Merkel. Wer so entschieden nach der Macht greift, kann „naturgemäß“ keine Frau sein – sie ist entweder ein verkappter Mann (immer diese Hosenanzüge!) oder ein „Neutrum“, „das Merkel“, wie die Satirezeitschrift „Titanic“ herrenwitzelte.

Seit Angela Merkel Kanzlerin ist, ist ihr Bild in den Medien gekippt. Nun gilt sie als Rollenmodell einer neuen Art von Politik, als personifiziertes Resultat der Krise der männlichen Eliten. Ihre Person und ihr Erfolg sind für die europäische Politik ein Signal der Veränderung geworden, ein Signal für die stärkere Teilhabe der Frauen an der politischen Macht.

Eine der ersten politischen Aktionen der neuen deutschen Regierung war die Forderung der neuen Familienministerin nach einer raschen Vermehrung öffentlich finanzierter Krippenplätze. Eine Forderung, die seit Jahrzehnten von Frauen erhoben und von jeder Regierung entweder mit dem Argument Geldmangel oder „Gedöns“ von Frauen (Gerhard Schröder) abgewehrt worden war. Ursula von der Leyen, mit der offenkundigen Rückenstärkung durch die Bundeskanzlerin ausgestattet, löste einen Sturm öffentlicher Empörung aus.

Dass sich zu diesem Thema Bischöfe melden und vor der Gefahr warnen, durch eine solche Politik Frauen „zu Gebärmaschinen zu degradieren“, mag ja noch als Ironie der Geschichte hingehen. Interessanter ist schon, dass sich auch Professoren der Medienwissenschaft mit Panik-Attacken zu Wort melden. So gibt die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ (8. April 2007) einem Artikel von Norbert Bolz den Titel „Die Umerziehung der Männer“, dessen Untertitel schon Schlimmes befürchten lässt: „Wenn Jäger zu Langzeitarbeitslosen werden. Das Lebensproblem berufstätiger Mütter soll durch einen ,neuen Mann‘ gelöst werden.“

30 Jahre nach der Frauenbewegung der Siebzigerjahre ist die schon damals erhobene Forderung nach einer Änderung des männlichen Rollenverständnisses, nach ei- ner partnerschaftlichen Beziehung der Geschlechter, nach einem Ende des Patriarchats zwar in der politischen Realität, nicht aber auf allen Hochschulen angekommen. Dort, wo angeblich die geistige Avantgarde ihren Sitz hat, bewegen sich offensichtlich auch Vertreter der geistigen Nachhut. – „Deutschland“, so Norbert Bolz, „ist unterwegs zur geschlechtsneutralen Gesellschaft. Die Familienpolitik der Bundesregierung hat zwei Ziele: die Verstaatlichung der Kinder und die Umerziehung der Männer.“ Das mit der Verstaatlichung der Kinder kennen wir schon aus den alten Debatten um die Ganztagsschule. Aber was ist gegen die „Reeducation des Macho zum fürsorglichen Mann“ (so weiter im Text) zu sagen?

„Gerade die strenge Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau bringt beiden Vorteile, weil sich jeder Partner auf bestimmte Typen des Humankapitals spezialisieren kann, die Frau zu Hause, der Mann auf der Jagd nach dem Profit.“ Bolz, der Jäger, fürchtet um das Image der Männer und um die wahre Männlichkeit: „Die moderne Welt ist gewiss nicht männerfeindlich, aber männlichkeitsfeindlich. Es geht nicht mehr ums Zupacken, sondern um Symbolmanagement. Der Jäger ist zum Langzeitarbeitslosen geworden.“

Nachdem Bolz „soziales Lernen“ und „Teamtraining“ sowie das Fernsehen als die Zerstörer seiner geliebten „Jägerrolle“ ausgemacht hat, ortet er gefährliche Entwicklungen für die Gesellschaft. Zunächst gehe der Gesellschaft durch berufstätige Frauen die Fürsorge ab: „Je erfolgreicher die Integration der Frauen ins Erwerbsleben ist, desto geringer sind die Möglichkeiten der Fürsorge in der Gesellschaft.“ Frauen haben sich, so Bolz, um Kinder-, Kranken- und Altenpflege zu kümmern und aus anderen Berufsfeldern herauszuhalten. Dann aber sorgt er sich um die sexuelle Attraktivität des „neuen Mannes“: „Offiziell loben ja alle den ,neuen Mann‘, der Hausarbeit und Kindererziehung 50:50 mit seiner Frau teilt. Aber werden solche Männer tatsächlich von Frauen begehrt?“ Bolz weiß, was Frauen wünschen: „Frauen bevorzugen Männer, die nicht wie Frauen sind. Männlichkeit ist das Produkt evolutionärer Selektion – also das, was Frauen immer schon geschätzt und gewählt haben.“

Der Rückfall in die Biologie, welche die alten Geschlechterrollen begründen und für immer festschreiben soll, zählte schon immer zu den klassischen Argumentationsmustern rechter Politik. Die Reaktion auf den Vormarsch der Frauen in der Politik und auf die daraus folgenden neuen politischen Gewichtungen findet sich neuerdings nicht nur im rechten Politspektrum, sie erfasst auch Männer, die sich sonst zum fortschrittlichen Lager zählen. Der Zugang der Frauen zur politischen Macht löst Verunsicherungen aus, die in die Tiefenbereiche der männlichen Psyche reichen. Der Ruf nach den alten Klischees vom „Jäger“ und der „Hüterin des Herdes“ wirkt da wie das laute Pfeifen im dunklen Wald.

Während in Deutschland das Thema Sexualität nur latent eine Rolle spielt (Merkel, das asexuelle Wesen), wird es in Frankreich zum Thema Nummer eins im Wahlkampf, und das auf mehreren Ebenen: Zum einen entspricht Ségolène Royal dem klassischen Schönheitsideal der Franzosen und könnte durchaus in Film und Fernsehen Karriere machen. Meinungsumfragen ergeben, dass eine breite Mehrheit der Franzosen die 53-jährige Sozialistin als „ideale Ehegattin“ ansieht. Ihre Attraktivität bremst die übliche Medienhäme gegen Politikerinnen, dafür mahnen selbst Parteikollegen, die sonst formell den gleichen Zugang der Frauen zu allen Ämtern fordern, die klassische Frauenrolle ein.

„Wer wird denn auf die Kinder aufpassen?“, höhnte nicht nur ihr Rivale Laurent Fabius. „Würden Sie das auch einen Mann fragen?“, wurde zu Royals ständig wiederholter Routine-Antwort. Und wie im Fall Merkel wurde auch in Frankreich immer wieder die Kompetenz-Frage aufgeworfen. Weiß sie genug von Wirtschaft, weiß sie genug von Außenpolitik, oder kennt sie sich nur in „Frauenfragen“ aus? Fehler, wie das Lob für die schnelle chinesische Justiz oder die fehlende Kenntnis der genauen Anzahl französischer Atom-Unterseeboote, wurden in der Presse als „typisch weiblich“ hochgespielt, unklare Aussagen zu innenpolitischen Themen wie Mindestlohn, 35-Stunden-Woche oder Integration von Immigranten als „typisch weiblicher Wankelmut“ gehandelt, als ob für solchen „Wankelmut“ nicht die ideologische Unklarheit ihrer Gesinnungsfreunde verantwortlich zu machen wäre. Auf den massivsten Widerstand stieß ihr feministisches Engagement – ihr massiver Einsatz gegen Pornografie und Prostitution, gegen Sex in der Werbung und String-Tangas in den Schulen.

Der renommierte französische Psychiater Michel Schneider veröffentlichte zu Beginn des Wahlkampfs 2006 ein Buch mit dem Titel „La confusion des sexes“, die „Verwirrung der Geschlechter“, in dem er die Kandidatur Ségolène Royals als Auftakt eines Geschlechterkampfes und Beginn einer drohenden „Entsexualisierung“ Frankreichs bewertet. Das liest sich dann so: „Soziologen und Psychoanalytiker stellen zweierlei fest – sowohl das Verschwinden der Differenz zwischen Männern und Frauen wie den Verlust der gegenseitigen sexuellen Anziehung bei der jungen Generation. Die Gleichgültigkeit gegenüber der Sexualität ist die Folge der Angleichung der Geschlechter. Der moralische und politische Sozialismus ist das modernste Mittel, um uns von der Sexualität zu befreien.“ Und Schneider resümiert: „Das Ideal der Sexualität unter dem Sozialismus scheint darin zu liegen, sich von der Dominanz des Männlichen zu befreien. Es ist überraschend, dass das Begehren, der Sexualtrieb – nach Freud im Wesentlichen männlich – die Männer mehr als die Frauen verlassen zu haben scheint, dass es also mehr Anhänger der ,Asexualität‘ bei jenem Geschlecht gibt, das man nicht mehr stark zu nennen wagt.“

Da haben wir's: Die neue Macht der Frauen gefährdet die Fortpflanzung. Rien ne va plus, wenn die Frau zu stark wird. Überhaupt, stellt Schneider fest, ist der moderne westliche Mann, wie bei Michel Houelle- becq nachzulesen, eine beklagenswerte Figur; er wagt es nicht mehr, den Frauen, die im Krieg um die soziale und politische Macht ihre Forderungen erheben, die berühmte Beschimpfung „Ihr seid schlecht im Bett“ entgegenzuschleudern, denn er verhöhnt sich selbst und behandelt sich selbst, als wäre er „schlecht im Bett“.

Und Michel Schneider macht klar, was ihn an Ségolène Royal alles stört: „Ihre politische Karriere zeichnet sich durch ihre ständige Absicht aus, Fragen des privaten Lebens durch Gesetz zu regeln: Kampf gegen Pornografie und die Verwendung des weiblichen Körpers in der Werbung, Verhängung von Strafen für die Kunden der Prostituierten, Entlassung von Lehrern, die der Pädophilie verdächtigt werden, Kampf gegen sexuelle Belästigung. Es gibt keinen Bereich der Sitten und der Familie, wo die Kandidatin nicht das Programm des asexuellen Sozialismus vertreten hätte.“

Vom „asexuellen Sozialismus“ ist es für den Psychiater nicht weit zur Rückkehr des Matriarchats. „Den Frauen eine Macht anzuvertrauen, die bisher von den Männern in Besitz genommen war, heißt scheinbar die Differenz der Geschlechter aufheben. Das aber ist ein Irrtum, denn unter diesem Kampf spielt sich ein ganz anderer Kampf ab: Die Politik ist im Begriff, eine Angelegenheit der Mütter zu werden. Nicht die Frauen bemächtigen sich der Politik, sondern die Mutter verkörpert ab nun die politische Macht, unabhängig davon, ob sie von Männern oder Frauen ausgeübt wird. Nicht das Geschlecht, das man bisher das schwache genannt hat, dringt in die öffentliche Arena ein, sondern die Politik kehrt ins Kinderzimmer zurück.“

Voilà: Wenn Frauen regieren, wird eben die gesamte Gesellschaft infantilisiert. Nur Männer garantieren eine reife erwachsene Gesellschaft der Freien und Gleichen. Undzum Schluss greift der Bestseller-Autor ganz tief in die Mottenkiste: „Frauen, fordert nicht die Macht! Ihr habt sie ja schon. Die demografische Zukunft und die Vermittlung der Werte liegt in euren Händen. Warum wollt ihr uns die einzige Macht nehmen, die uns bleibt: die, die wir als Monopol im Staat ausüben?“

Ängste vor der wachsenden Macht der Frauen: Trotz aller sonstiger kultureller Differenzen treffen sich hier französische Psychiater und fundamentalistische US-Republikaner. Deren Hassobjekt bildete Hillary Clinton schon zu Zeiten, als sie First Lady war. Auf dem Parteitag der Republikaner 1992 kritisierte sie Pat Buchanan, einer der Chefideologen der „konservativen Revolution“, als „familienfeindlich“, da sie „Zwölfjährige dazu auffordere, ihre Eltern anzuklagen“ (da ging es um Hillarys Untersuchungen über Kindesmissbrauch), und da sie „die Institution der Ehe mit der Sklaverei vergleiche“. 1994 nannte sie Newt Gingrich, der Rechtsaußen der Republikaner und damalige Sprecher des Repräsentantenhauses, eine „radikale Feministin, die die Kinder gegen die Eltern aufhetzt“. Zu Hause sprach er von ihr, laut Aussage seiner Mutter in einem TV-Interview, nur als „Hure“.

Heute, als derzeit aussichtsreichste Präsidentschaftskandidatin der Demokratischen Partei, schlägt ihr der alte Hass verstärkt entgegen. Laut Meinungsumfragen können 73 Prozent der republikanischen Parteigänger Hillary „nicht ausstehen“. Pat Buchanan meinte, die Kandidatur Hillary Clintons sei eine Garantie für den Sieg der Republikaner. Die Attribute, die ihr die rechte Presse zuschreibt, reichen von „Lady Macbeth“ bis „Ice Queen“, von „ehrgeizig und machtbesessen“ bis zu „eiskalt, ohne soziales Gefühl“. In dieser Palette darf natürlich auch der Vorwurf der lesbischen Neigung nicht fehlen, zuletzt formuliert in einem Buch von Edward Klein, das sich „Die Wahrheit über Hillary“ nennt. Ein Videoclip auf „You Tube“ zeigt Hillary Clinton als Gefahr für Amerika, als eine Art „Big Sister“ aus dem Geiste von Orwells „1984“, die leinwandfüllend mit dröhnender Stimme auf ein willenloses Publikum einredet.

Rückzugsgefechte in einem langen Kampf, um im kriegerischen Jargon zu bleiben, der bei diesem Thema offenbar schwer zu vermeiden ist. Wenn eine Frau Parteichefin oder Regierungschefin wird, erobert sie eine „Bastion“. Verliert sie eine Wahl, „halten Männer die Stellung“. Wenn es um die Macht geht, hört man wenig von Konkurrenz, Qualifikation, sportlicher Fairness unter dem Motto: „Der Bessere möge gewinnen.“ Wenn es um die Macht geht, werden Waffen eingesetzt, zumindest verbale Waffen.

Manchmal lassen sich im Waffengetöse auch Stimmen der Vernunft hören: „Sind die Amerikaner bereit, für ,Mom‘ zu stimmen?“, fragt ein Journalist in der „New York Times“. „Lange Zeit hat man Frauen, die höhere Ämter anstrebten, geraten, nicht ihre sanftere, häusliche Seite herauszustreichen, sondern mehr ihre Stärke und ihre Qualifikationen. Heute sagen viele politische Strategen, dass Frauen nicht so defensiv agieren sollten. Die Wähler haben sich an Frauen in Machtpositionen gewöhnt. Dies bedeutet, so die Strategen, dass Mutterschaft und Kinder heute ein politischer Trumpf werden können, ein Weg, um eine Kandidatin zu vermenschlichen. Starke Leadership-Qualitäten sind eines von Mrs. Clintons zentralen Attributen. 64 Prozent der Männer und 75 Prozent der Frauen bescheinigen ihr starke Führungseigenschaften. Aber wir leben heute in einer anderen Welt. Die alten Geschlechterstereotypen werden in der jüngeren Generation immer schwächer. In ihrer Kampagne argumentiert Mrs. Clinton, dass Sicherheit, Mutterschaft, ein für alle erschwingliches Gesundheitssystem Teil ihres ,Erste-weibliche-Präsidentin‘-Pakets darstellen: ,Ich möchte die Menschen bitten, dass sie mich wegen meiner ganzen Erfahrung wählen; die Tatsache, dass ich eine Frau bin, dass ich eine Mutter bin, gehört dazu, ist Teil meiner Person.‘“

Anders gesagt: Führungsqualitäten und Weiblichkeit schließen einander nicht aus. Die Frauen müssen sich nicht länger als „hart und männlich“ präsentieren, um in der politischen Arena Erfolg zu haben. Die Welt hat sich geändert. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.10.2007)

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