Reale Wirtschaft im virtuellen Raum

Laut einer Studie werden bis 2011 rund 80 Prozent der Internet-User ein Doppelleben in einer virtuellen Spielwelt führen – und damit Second Life und Co. zu einem realen Wirtschaftsfaktor machen.

Als der amerikanische Schriftsteller Neil Stephenson im Jahr 1992 seinen Science-Fiction-Roman „Snow Crash“ veröffentlichte, konnte er noch nicht einmal ansatzweise erahnen, dass sein Buch zur Vorlage für eine der größten Online- Communities der Welt werden würde. Die Programmierer des kalifornischen Linden Lab ließen sich von der Idee eines dreidimensionalen Internets, in dem menschliche Benutzer durch selbst gestaltete Avatare vertreten sind, zur Schaffung von „Second Life“ inspirieren.

Dabei wurden auch – oder gerade – die kommerziellen Aspekte mit Vehemenz umgesetzt: Zwar kann sich der Normalverbraucher kostenlos bei Second Life, kurz SL genannt, anmelden, wenn er seinem virtuellen Charakter jedoch zusätzliche Individualität verleihen möchte, oder wenn er selbst aktiv an der Gestaltung der Internetwelt teilhaben möchte, muss er in die reale Geldtasche greifen.

So kostet eine Premium-Mitgliedschaft knapp zehn US-Dollar pro Monat, und wer auf eigenem „Land“ ein virtuelles Haus bauen möchte, muss nicht nur ein Grundstück im Cyberspace kaufen, sondern auch noch monatliche Nutzungsgebühren abführen. Was auch verständlich ist – immerhin mietet der Anwender damit ja Speicherplatz und Rechnerleistung auf einem der etwa 1800 Server des Linden Lab.

Viele Unternehmen aus der realen Welt haben inzwischen den Cyberspace als zweites Standbein entdeckt, um ihr bisheriges Geschäftsfeld in den virtuellen Raum auszuweiten und Symbiosen zwischen beiden Welten zu schaffen. So verkauft beispielsweise Nike in SL Sportschuhe an Avatare, wobei ihr Besitzer in der realen Welt genau dieselben Schuhe erstehen kann, der T-Shirt- und Unterwäscheproduzent American Apparel hat seinen SL-Shop mit seinem realen Onlineshop verlinkt, und der deutsche Springer-Konzern publiziert eine eigene Wochenzeitung mit News und Tratsch und Klatsch aus der SL-Welt.

Virtuelle Dollar mit realem Wert

Zwar bezahlt der Benutzer in Second Life für Waren und Dienstleistungen mit sogenannten Linden Dollar, doch diese müssen mit echtem Geld gekauft werden. Wie bei einer realen Währung schwanken die Kurse von Tag zu Tag, und auch die Immobilienpreise unterliegen heftigen Schwankungen – in der virtuellen Welt von Second Life ist ein eigener Wirtschaftsraum entstanden, der den Regeln einer echten Wirtschaft mit allen Vor- und Nachteilen folgt.

So hat SL bereits seine erste Wirtschaftskrise hinter sich, nachdem es Hackern gelungen war, für teures Geld gehandelte Waren zu duplizieren und die Raubkopien selbst im Cyberspace zu verbreiten. Etliche Firmen schlossen daraufhin ihre virtuellen Läden, was zu einer Inflation des Linden Dollars führte. Erst als die Lücke in der Software geschlossen wurde, stabilisierte sich die Wirtschaft in SL wieder.

Die Geschäftsmöglichkeiten sind vielfältig, reichen sie doch vom Design virtueller Avatar-Klamotten bis zur Gestaltung von Häusern und Grundstücken. Sogar Prostituierte bieten im Second Life ihre Dienste an. Schätzungen zufolge nutzen derzeit etwa 17.000 SL-Spieler die virtuelle Welt, um darin Geld zu verdienen, wobei allerdings nicht einmal die Hälfte von ihnen über einen monatlichen Gewinn von zehn US-Dollar hinauskommt.

Etwa 100 User dürfen sich hingegen über einen Gewinn von mehr als 5000 realen Dollar im Monat freuen. Die virtuelle Immobilienhändlerin Anshe Chung gab Ende vergangenen Jahres bekannt, die erste (echte) Million in Second Life erwirtschaftet zu haben: Sie kauft unbebautes „Land“ und lässt darauf von mittlerweile 30 Programmierern luxuriöse Domizile für andere wohlhabende Avatare errichten.

Österreich im Second Life

Auch österreichische Unternehmen sind in Second Life ausgesprochen aktiv: So entwickelte Beko ein virtuelles Abbild von X-Bow, einem kleinen Sportwagen von KTM, der in der Realität noch gar nicht im Handel ist, in der SL-Welt aber bereits probegefahren werden kann. „Der emotional-spielerische Zugang schafft Sympathie für ein Produkt und erweckt den Wunsch nach mehr“, umreißt der Beko-Vorstand Peter Kotauczek die Erfahrungen, die sein Unternehmen im Cyberspace bereits gesammelt hat. Er sieht die virtuelle Welt als wertvolles Experimentierfeld für die reale Wirtschaft und ist damit bei weitem nicht allein.

Bei IBM ist man ebenfalls von der Wichtigkeit einer virtuellen Präsenz überzeugt – der amerikanische Computerhersteller investierte bereits um die zehn Millionen Dollar in dieses Projekt. Auf der einen Seite steht die Entwicklung von Tools und Plattformen, um weitere virtuelle Welten zu realisieren, auf der anderen Seite aber auch der Versuch, Prozesse aus dem täglichen Geschäftsleben kosten- und ressourcensparend in den Cyberspace auszulagern. So haben die Mitarbeiter von IBM schon heute die Möglichkeit, sich zu einem Meeting im virtuellen Firmengebäude in SL zu treffen, wobei es völlig egal ist, an welchem Ende der Welt die einzelnen Mitarbeiter tatsächlich sitzen. Im Second Life plaudert und spaziert man miteinander völlig unabhängig von Raum und Zeit.

Solche Spaziergänge können dabei sogar nach Österreich führen: Die Web-Agentur Next Horizon ist gerade mit dem Aufbau einer Erlebniswelt „Austria“ im Second Life beschäftigt. Das Riesenrad und der Donauturm stehen bereits, in Zukunft soll man auch durch Schönbrunn schlendern oder auf den Spuren des „Dritten Mannes“ in das Wiener Kanalnetz abtauchen können. Da das virtuelle Land 1250 Euro kostete und monatlich um die 250 Euro „Betriebskosten“ anfallen, ist Next Horizon natürlich bemüht, das Projekt Austria auch gewinnbringend zu vermarkten – zum Beispiel als Plattform für österreichische Unternehmen, die sich hier in einem „heimischen“ Umfeld ihren Kunden präsentieren wollen.

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