Abschied von der dunklen Energie?

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Kosmologie. Laut gängiger Theorie ist die mysteriöse dunkle Energie die Ursache für die immer rascher werdende Expansion des Universums. Eine neue Arbeit widerspricht: Die Expansion könnte auf einem Scheineffekt beruhen.

Dass der Kosmos, wie wir ihn heute sehen, nicht immer so war und auch nicht immer so sein wird, gehört zum Grundverständnis des modernen Weltbilds. Die Theorie über die Entwicklung des Kosmos aus einer heißen und dichten Urphase ist durch Beobachtungen weitgehend abgesichert. Es war der Astronom Edwin Hubble, der in den Zwanzigerjahren des 20.Jahrhunderts die Verschiebung der Spektrallinien von Galaxien beobachtete und als allgemeines Auseinanderstreben der Materie im Kosmos interpretierte. Diese allumfassende Expansion hat ihren Anfang im Urknall.

Was expandiert?

Man kann fragen, welche Objekte eigentlich dieser kosmischen Expansion unterliegen. Die Atome und Moleküle? Die Erde, das Planetensystem? Gesamte Galaxien? Zunächst ist zu bemerken, dass die Expansion erst auf großen Skalen sichtbar wird. Wichtiger aber ist, dass Objekte nur dann der allgemeinen Expansion folgen, wenn sie nicht „gebunden“ sind., d.h., wenn sie nicht durch lokale Kräfte daran gehindert werden. So werden Festkörper durch elektromagnetische Kräfte zusammengehalten, was ein freies Expandieren verhindert.

Was aber, wenn ausschließlich die Gravitationskraft wirkt? Dann kommt es tatsächlich zum Wettstreit zwischen kosmischer Expansion und lokaler Gravitationsanziehung. Unsere eigene Galaxie, eine von vielen im Kosmos, die aus mehreren Hundert Milliarden Sternen besteht, wird durch die eigene Gravitationskraft gebunden. Eine einfache Rechnung zeigt aber, dass auch hier die kosmische Expansion noch nicht zum Tragen kommt. Erst wenn man zu noch größeren Dimensionen geht, etwa zu Abständen zwischen Galaxien in Galaxienhaufen, zeigt sie ihre Wirkung. Allerdings wirkt ihr auch hier die lokale Anziehung entgegen. So gesehen ist es erstaunlich, dass es Hubble möglich war, das Gesetz über die Expansion aus Beobachtungen von Galaxien in einer Entfernung von „nur“ zehn Millionen von Lichtjahren zu lesen. Die Eigenbewegungen, hervorgerufen durch lokale Ansammlungen von Materie, überdecken den „Hubblefluss“, d.h. die allgemeine Expansionsgeschwindigkeit.

Das kopernikanische Prinzip

Das Standardmodell der Kosmologie beruht auf dem kosmologischen (kopernikanischen) Prinzip, das sich so formulieren lässt: Das Weltall sieht von überall gleich aus. Damit ist gemeint, dass sich die Strukturen, die wir beobachten, immer wieder wiederholen, wie weit wir auch blicken. Über genügend große Abstände gemittelt, erscheint die Materie gleichmäßig verteilt.

Die klumpige Struktur des Universums ist aber erst allmählich entstanden. In der Frühphase war der Kosmos hochgradig „glatt“. Das wissen wir aus Beobachtungen der kosmischen Hintergrundstrahlung, ein Relikt aus dem frühen Universum, als die Temperatur etwa 3000Grad betrug. Diese Strahlung, die sich durch die allgemeine Expansion bis heute auf 2,7Grad über dem absoluten Nullpunkt abgekühlt hat, zeigt uns ein Bild eines überaus gleichförmigen Kosmos: Es gab damals weder Sterne noch Galaxien oder Galaxienhaufen. Etwa 380.000Jahre nach dem Urknall bildeten nur leichte Atome, im Wesentlichen Wasserstoff und Helium, zusammen mit der elektromagnetischen Strahlung, die Ursuppe.

Nach und nach setzte dann die Kondensation der Materie unter der eigenen Gravitationsanziehung ein; nach etwa einer Milliarde Jahre leuchteten die ersten Sterne auf. Heute bilden riesige Ansammlungen von Sternen gravitativ gebundene Systeme, die Galaxien. Galaxien gruppieren sich zu Galaxienhaufen und Superhaufen, die aber nicht als isolierte Inseln im Raum bestehen, sondern Filamente und „Wände“ bilden. Die Wände durchziehen den Kosmos und umschließen fast materiefreie Regionen. Diese „Löcher“ in der Materieverteilung machen einen wesentlichen Anteil des Kosmos aus, ähnlich wie die Poren in einem Schwamm.

Seit etwa zehn Jahren beobachten Kosmologen ein Phänomen, das es eigentlich nicht geben sollte: Die Expansionsgeschwindigkeit des Kosmos scheint sich zu vergrößern, ganz im Gegensatz zu dem, was zu erwarten wäre, nämlich eine systematische Verlangsamung durch die gegenseitige Anziehung der Materie. Um die Beschleunigung zu erklären, besann man sich auf die von Einstein eingeführte kosmologische Konstante, die als Gegenkraft zur Gravitationsanziehung wirkt. Einstein hatte bereits 1917 seine Theorie der Schwerkraft auf den Kosmos angewandt und, um eine zeitlich unveränderliche Lösung zu erhalten, diese Konstante ad hoc seinen Gleichungen hinzugefügt.

Heute nennt man sie dunkle Energie, ohne zu wissen, was sie eigentlich ist. Jedenfalls lässt sich damit die immer rascher werdende Expansion „erklären“. Allerdings müssten 70 Prozent der gesamten Materie/Energie in dieser Form vorhanden sein, die sich aber ausschließlich durch die abstoßende Wirkung bemerkbar machen sollte.

Das Rätsel der dunklen Energie beschäftigt Kosmologen weltweit und hat zu einer Anzahl neuer Ideen geführt, die aber bisher alle wenig überzeugend sind. Eine davon ist, dass es sich dabei um einen globalen Quanteneffekt handelt, um die sogenannte Energie des Vakuums. Leider lässt sich diese aber mit den heutigen Theorien nicht berechnen.

Umso mehr überrascht eine ausführliche Arbeit („Cosmic clocks, cosmic variance and cosmic averages“, gr-qc/0702082) von David Wiltshire (University of Canterbury, Neuseeland), in der er zeigt, dass die beschleunigte Expansion weder einer dunklen Energie noch einer Abänderung der Einsteinschen Theorie bedarf, sondern dass es sich dabei um einen Scheineffekt handeln könnte.

Kosmische Uhren gehen anders

Die wesentliche Idee dabei ist, dass die Wirkung lokaler Materie-Ansammlungen in einem Kosmos, in dem die Materie im Mittel homogen verteilt ist, bisher nicht richtig berücksichtigt wurde. Ein Beispiel ist die kosmische Zeit. Nach Einstein ist Zeitvergehen nicht fest vorgegeben, sondern wird durch Bewegung und durch Gravitationsfelder (gekrümmte Raumzeit) beeinflusst. Was bedeutet dann aber die Aussage, dass das Universum vor ca. 14 Milliarden Jahren aus dem Urknall entstanden ist?

Gemeint ist jene Zeit, die vergeht, wenn man sich mit dem Hubblefluss bewegt. Aber gerade das ist, wie oben ausgeführt, in lokal gebundenen Systemen nicht gegeben, denn diese sind von der Expansion entkoppelt. Daher vergeht dort Zeit anders. Aus der Einsteinschen Theorie folgt, dass in der Nähe großer Ansammlungen von Materie Zeit langsamer vergeht als in großen Entfernungen. (Dieser Effekt muss schon bei den Satellitenuhren für das globale Positionierungssystem berücksichtigt werden.) Zeit vergeht unterschiedlich in einem Universum mit ungleichmäßiger Verteilung der Materie. Diese Überlegungen sind nicht neu – Wiltshire zeigt aber überzeugend auf, dass diese Effekte bei der Interpretation der Beobachtungsdaten zu berücksichtigen sind.

Sämtliche Information, außer der über die kosmische Hintergrundstrahlung, kommt aus gravitativ gebundenen Systemen, wo Zeit langsamer vergeht als in Regionen, die mit dem Hubblefluss frei expandieren. Zwar ist der Unterschied zunächst klein, kann aber in kosmologischen Zeitspannen substanziell werden. Es klingt sonderbar, aber unterschiedliche Regionen im Kosmos haben daher verschiedene Alter. Obwohl im Mittel ca. 14 Milliarden Jahre seit dem Urknall vergangen sind, können dichte Regionen ein Alter von 12 Milliarden haben, während weniger dichte vielleicht schon 16 Milliarden Jahre alt sind. Will man eine Änderung in der Expansionsrate feststellen, so spielt der Übergang von der lokalen zur kosmischen Hubble-Zeit eine wesentliche Rolle. Wiltshire zeigt – und untermauert durch Rechnungen –, dass dieser Effekt zu einer scheinbaren Beschleunigung der Expansion führen kann.

Noch ist die Diskussion über seine Ideen unter den führenden Kosmologen nicht entbrannt. Sollte er aber Recht haben, so würde dies zu einer Neubewertung sämtlicher kosmologischer Parameter führen.

ZUM AUTOR

Peter C.Aichelburg, geboren 1941 in Wien, ist Professor für theoretische Physik an der Uni Wien und Vorsitzender des Kuratoriums für das Europäische Forum Alpbach.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.07.2007)

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