Milliarden-Grüße aus der Fremde

AP (Michael Sohn)
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Rumänien. Gastarbeiter schicken fünf Mrd. Euro an ihre daheim gebliebenen Familien.

BUDAPEST/BUKAREST. Seit dem Zusammenbruch des Kommunismus 1989/90 ist eine wahre Flut von rumänischen Gastarbeitern über Westeuropa geschwappt. Laut offiziellen Schätzungen arbeiten mehr als 1,2 Millionen Rumänen legal in Westeuropa. Inoffiziell ist sogar von bis zu drei Millionen rumänischen Gastarbeitern die Rede. Grund für die widersprüchlichen Zahlen ist der Umstand, dass rund die Hälfte der rumänischen Arbeitsmigranten in der Schattenwirtschaft tätig ist. Nur zum Vergleich: In Rumänien, das rund 22 Millionen Einwohner zählt, liegt die Zahl der Beschäftigten lediglich bei knapp sechs Millionen.

Die wirtschaftliche Abwanderung der Rumänen erfolgte in drei Wellen. Laut einer Studie der Stiftung für eine offene Gesellschaft und des Meinungsforschungsinstituts Gallup waren zwischen 1990 und 1995 Israel, die Türkei und Italien die ersten Zielländer der rumänischen Fremdarbeiter. Von 1996 bis 2001 waren es Italien und Israel, und seither sind es Italien und Spanien. In Spanien gründeten rumänische Gastarbeiter kürzlich sogar eine eigene Partei (Unabhängige Rumänische Partei, PIR), um ihren Interessen zur Geltung zu bringen.

1,3 Mrd. Euro Weihnachtsgeld

Parallel zur stetig wachsenden Zahl von rumänischen Fremdarbeitern stiegen auch die Geldüberweisungen an die Familienangehörigen in der Heimat. Laut einer Statistik der rumänischen Nationalbank überwiesen die „Auslandsrumänen“ erstmals im Jahr 2001 über eine Mrd. Euro nach Rumänien. Seither steigen die Summen dramatisch, sie erreichten im Vorjahr rund 5,3 Mrd. Euro. Allein im Dezember 2006 wurden 1,3 Mrd. Euro überwiesen.

Im Kreis jener rumänischen Emigranten, die länger als ein Jahr im Ausland arbeiten, wird das meiste Geld aus Italien überwiesen, dahinter folgen Großbritannien und Spanien. Bei jenen Gastarbeitern, die weniger als ein Jahr in der Fremde tätig sind, werden die größten Summen aus den USA und Deutschland in die Heimat transferiert.

Hauptgrund für die Wirtschaftsflucht vieler Rumänen ist das niedrige Lohnniveau daheim. Der Durchschnittslohn liegt derzeit bei 1027 Lei (rund 300 Euro). Die Weltbank verweist aber auch darauf, dass die Beschäftigungspolitik von den rumänischen Regierungen sträflich vernachlässigt wurde. Die Zeche dafür zahlen heute insbesondere die Bau- und Leichtindustrie sowie die Fremdenverkehrsbranche. In allen drei Sektoren herrscht in Rumänien akuter Arbeitskräftemangel.

Der Leiter des Bukarester Arbeitsamtes, Dumitru Pelican, machte darauf aufmerksam, dass ein guter Maurer in Rumänien bis zu 2500 Lei (etwa 800 Euro) verdiene und zwischen 1700 und 2000 im westlichen Ausland. Auch das rumänische Gesundheitswesen sieht sich mit einem personellen Aderlass konfrontiert. Gesundheitsminister Eugen Nicolaescu klagte, dass Rumänien unter einem großen Ärztemangel leide.

Mit der rumänischen Gastarbeiterschwemme ging in etlichen Ländern, zumal in Italien und Spanien, aber auch in Österreich, eine massive Zunahme der Kriminalität einher. Die Banden sind unter anderem auf Prostitution und Einbrüche spezialisiert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.06.2007)

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