Das Ende des Ostblock-Tourismus

(c) AP (György Verga)
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Plattensee: Das Ausbleiben der einstigen DDR-Bürger zwingt zur Erneuerung.

BUDAPEST/WIEN. Das „ungarische Meer“, Balaton, wird einer Serie von Schönheitsoperationen unterzogen. Die Tage ungeschlachter realsozialistischer Plattenbau-Hotels, minderwertiger „Zimmer frei“-Absteigen und schmuddeliger Würstelbuden sind gezählt. Der Plattensee soll künftig wieder zu einem verlockenden und niveauvollen Tourismusziel werden.

Ermöglicht wird die Erneuerung durch einen Schock: Die Deutschen bleiben aus. Die Tendenz hat sich heuer verstärkt, erklärte Balázs Szücs, Marketing-Direktor der Ungarischen Tourismus-AG.

Qualitätsschub durch Flughafen

Aber es sei „nur die Nachfrage nach dem billigen Balaton verschwunden“, weil es die einstigen DDR-Bürger mit wenig Geld neuerdings ans Mittelmeer ziehe. Damit endet 17 Jahre nach dem Ostblock auch der Ostblock-Tourismus am Balaton. „Jetzt spielen die qualitativ besseren Quartiere eine höhere Rolle“, meinte Szücs.

Dazu trage der Flughafen Sármellék am Südwestrand des Plattensees bei, über den Touristen aus 13 Destinationen in West- und Südeuropa ins Land strömten. Diese Gäste bevorzugten anspruchsvollere Angebote, von Wellness bis Weingastronomie.

Die Statistik gibt Szücs Recht: Drei-, Vier- und Fünfsternhotels am Plattensee verzeichneten im ersten Halbjahr ein Fünftel mehr Nächtigungen. Laut Tibor Polgár, Generaldirektor von Balatontourist, verläuft die Saison insgesamt viel versprechend: „Der frühe Sommerbeginn hatte eindeutig positive Auswirkungen auf den Tourismus am Balaton.“ Im Mai und Juni habe es „schon seit Jahren nicht mehr ein derart hohes Aufkommen“ gegeben. Dies sei vor allem inländischen Touristen zu verdanken, „die wieder vermehrt am Balaton ihre Sommerfrische verbringen“.

Die Wahrheit ist, dass die Lücke zwischen den weg bleibenden deutschen Billigtouristen und den langsam tröpfelnden „neuen Massen“ von den Ungarn gefüllt wird. Nicht weniger als 60 Prozent der Magyaren haben im Vorjahr keine einzige Auslandsreise unternommen. 3,9 Millionen von ihnen verbrachten 9,6 Millionen Nächte in heimischen Quartieren und gaben dabei 290 Mrd. Forint (1,17 Mrd. Euro) aus. Die Nächtigungszahlen legten um 7,2, die Ausgaben um 15,1 Prozent zu – siehe höhere Qualität und damit höherer Preis.

Ein Viertel aller Nächtigungen gab es rund ums ungarische Meer.

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„Zuerst müssen wir die ungarischen Touristen mit entsprechenden Dienstleistungen heim locken.“«

Staatssekretär István Újhelyi

Die Tourismusverantwortlichen führen das zwar auf die Naturschönheiten der Region zurück. Aber die Wirtschaftszeitung „Világgazdaság“ ortet als Ursache für die neu entdeckte Heimatliebe auch die „heikel gewordene Wirtschaftslage vieler Familien“. Tatsache sei jedenfalls auch bei knapper gewordener Kasse, dass mit der Auslandserfahrung die Ansprüche gestiegen seien.

Die Anhebung der Qualität hat sich die ungarische Immobilien-Holding SCD zum Ziel gesetzt. Bis 2014 werden mehr als 100 Mrd. Forint in 28 Projekte am Plattensee investiert. So sollen knapp 20.000 neue Hotelbetten, Hunderte Bungalows, Campingplätze und Jachthäfen entstehen. Auch großflächige Themen- und Vergnügungsparks sind geplant. Als Vorbilder für die groß angelegte Infrastrukturentwicklung gelten Boden-, Genfer und Gardasee.

Auch der Staat will den Qualitätstourismus am ungarischen Meer ankurbeln. Vor kurzem hat das Ministerium für Selbstverwaltungen und Regionalentwicklung das so genannte „Balaton-Flaggschiffprogramm“ fertig gestellt. Sollte die linksliberale Regierung das Programm absegnen, werden bis 2013 ebenfalls rund 100 Mrd. Forint für eine Reihe von Infrastrukturprojekten bereitstehen. Der Großteil soll durch EU-Fördergelder finanziert werden. Das Programm sieht unter anderem den Bau von Golfplätzen, die Errichtung oder Erneuerung von Hotels, die Modernisierung der Schiffsanlegestellen, den Ausbau der Heil- und Thermalbäder, die Erneuerung der Strände, die Förderung des Wein- und Reittourismus sowie die Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur vor.

Ganz realistisch gab sich Staatssekretär István Újhelyi: Zuerst müssten die ungarischen Touristen „heim gelockt“ werden, erst dann rentierten sich energische Kampagnen im Ausland.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.07.2007)

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