Polen: Arbeitslosigkeit trotz Aufschwung

Vier von fünf arbeitslosen Polen bekommen keine finanzielle Unterstützung.

WARSCHAU (Bloomberg/ku). Der Wirtschaftsaufschwung in Polen scheint am Arbeitsmarkt vorbeizugehen: Bis heute hat nur die Hälfte der 27 Millionen beschäftigungsfähigen Polen einen offiziellen Arbeitsplatz. Der Rest lebt von Pensionen, Sozialhilfe, Arbeitslosengeld oder Schwarzarbeit, wie aus Daten des polnischen Statistikamtes und des EU-Statistikamtes Eurostat hervorgeht.

Damit ist es in den 18 Jahren, seit sich Polen vom Kommunismus abwandte, keiner Regierung gelungen, chronische Unterbeschäftigung und Armut zu beseitigen. Daran hat auch der Beitritt zur EU, mit dem viele Hoffnungen verbunden waren, nichts geändert. Polen hat die höchste Arbeitslosenquote in Europa – obwohl diese von 19,5 Prozent im Mai 2004 auf aktuell 12,2 Prozent gesunken ist.

Ein Grund für den Rückgang liegt im Anstieg von High-Tech-Jobs in Warschau und anderen Großstädten, wo die Arbeitslosenquote nur mehr sechs Prozent beträgt. Weiters sind Hunderttausende Polen nach Westeuropa ausgewandert. Ein weiterer Grund ist jedoch, dass ein Drittel der Beschäftigungslosen in der Statistik nicht mehr auftauchen, weil sie die Arbeitssuche aufgegeben haben.

Wirtschaft könnte schrumpfen

Achtzig Prozent der arbeitslosen Polen haben keinen Anspruch auf finanzielle Unterstützung. Die restlichen 20 Prozent erhalten monatlich 100 Euro Sozialhilfe, ein Bruchteil des durchschnittlichen polnischen Monatslohns von 664 Euro. Dieser beträgt allerdings nur ein Fünftel des monatlichen Gehalts im EU-Durchschnitt – was auch den Strom der Arbeitsimmigranten aus Polen in Länder wie Deutschland, Großbritannien oder Irland erklärt. Der Exodus hat dazu geführt, dass einige Baugesellschaften und Lebensmittelhersteller händeringend nach Arbeitskräften suchen. Ihnen fehlen 300.000 Beschäftigte. Das Gros der Arbeitslosen erfüllt deren Kriterien nicht. Viele Firmen nehmen den Papierkrieg auf sich, um Ukrainer, Chinesen oder Inder einzustellen, die bereit sind, zu niedrigeren Löhnen als die Polen zu arbeiten.

Die hohe Arbeitslosigkeit ist auch eine Gefahr für den Wirtschaftsaufschwung. Im zweiten Quartal ist das Bruttoinlandsprodukt des Landes mit einer Jahresrate von 6,7 Prozent auf umgerechnet 250 Mrd. Euro gewachsen. Aber Ökonomen warnen davor, dass diese Entwicklung gefährdet ist, wenn sie nicht stärker durch die Konsumnachfrage getragen wird. Das Wirtschaftsministerium hält es für möglich, dass das BIP bis 2025 wegen der Arbeitslosigkeit und dem Exodus von Arbeitskräften um 105 Mrd. Euro schrumpfen könnte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.09.2007)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.