Energie: Die Tschechen liebäugeln offen mit Atomkraft

Zahlreiche Spitzenpolitiker sprechen sich für einen Ausbau der Kernkraft aus.

WIEN / PRAG (ag./mk). Vor rund einem Jahr, als die tschechische Regierung mit Unterstützung der Grünen sich formierte, sah die Zukunft für Atomkraft im nördlichen Nachbarland wenig strahlend aus. Im Regierungsprogramm hieß es, „die Regierung werde den Bau neuer Reaktoren weder planen noch unterstützen“. Doch diese Aussage scheint keinen Wert mehr zu haben. Zu viele tschechische Politiker haben sich in den vergangenen Wochen für eine verstärkte Nutzung der Atomkraft ausgesprochen.

Am Dienstag etwa sagte der tschechische Staatspräsident Václav Klaus: „Ich kann mir die Entwicklung unseres Landes ohne Atomenergie-Industrie nicht vorstellen“. Der Traum über die „unendliche Senkung“ des Energieverbrauchs sei ein „Unsinn“. Er betrachte es als seine Pflicht, mit all seinen Kräften dazu beitragen, dass die „aufgeregte Debatte über die Atomenergie vom Himmel auf den Boden übertragen wird“, sagte Klaus. Bei einer Abstimmung über Atomenergie im tschechischen 200-köpfigen Abgeordnetenhaus würden sicher 150 bis 170 Parlamentarier dafür stimmen.

„Windmühlen bringen zu wenig“

Vor einigen Wochen hatte Klaus bereits die Öffentlichkeit zur Unterstützung der Atomkraft aufgefordert. „Die Windmühlen bringen uns nicht die erforderliche Menge Energie“, sagte er.

Auch weitere tschechische Spitzenpolitiker sprechen oft über die Notwendigkeit, die Atomindustrie auszubauen. Premier Mirek Topolánek meinte, es sei „offensichtlich, dass wir eine Diskussion über die Verwendung von Nuklearenergie als Energie der Zukunft gestartet haben“. Niemand erwarte, dass wir mit einer wachsenden Wirtschaft den Energieverbrauch deutlich einschränken werden können. Topolánek sprach auch über eine Möglichkeit, dass ein Atomkraftwerk in der Slowakei aufgebaut würde, aus dem Tschechien Strom importiert.

Der stellvertretende Industrieminister Martin Tlapa sagte vor kurzem, die Nutzung der Atomenergie sei für Tschechien am vorteilhaftesten.

Klimaargumente für Atomkraft

Während seines EU-Vorsitzes im ersten Halbjahr 2009 will sich Tschechien um eine „Enttabuisierung“ der Frage der Atomenergie-Nutzung bemühen, sagt der für Europa-Politik zuständige Vizepremier Alexandr Vondra. Mit der Atomenergie könne man gegen den Klimawandel kämpfen.

Indes trat eine der eifrigsten Atomkraftgegnerinnen der Regierung, die tschechische Unterrichtsministerin Dana Kuchtová Anfang Oktober zurück. Sie war unter Beschuss geraten, weil ihr Ressort zu wenig Mittel aus Brüssel abgeschöpft hat. So lautete zumindest die offizielle Begründung für ihren Abgang.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.12.2007)

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