Elisabeth Heller: "Es geht in Richtung Wir-Gesellschaft"

Interview. Elisabeth Heller über ihr neues Buch und den Sinn von festen Bindungen.

Die Presse: Ist "Clan Value" ein Praxis-Buch?

Elisabeth Heller: Es ist ein Wirtschaftsratgeber mit einem Schwenk in Richtung gesellschaftliche Veränderungen. Es reflektiert den Zeitgeist: Ich sehe überall das Bedürfnis nach einer Umkehr von der Ego-Zentrierung hin zu mehr Sinn, mehr Zusammenhalt. Das Pendel schlägt in die andere Richtung aus, in Richtung Wir-Gesellschaft.

Ein Buch über Familienunternehmen?

Elisabeth Heller: Nein, in "Clan Value" geht es darum, wie ich mein Unternehmen so gestalten kann, dass daraus ein "Clan" entsteht. Damit meine ich ein Gebilde, in dem eine geistige Verwandtschaft, eine gemeinsame Wertewelt existiert, Ziele, die man gemeinsam anstrebt.

Ist das wirklich so eine neue Idee?

Heller: Das Neue an dem "Clan"-Konzept ist, dass nicht nur Mitarbeiter und Führungskräfte in diese Wertewelt eingebunden werden, sondern weitere Personenkreise, die mit dem Unternehmen zu tun haben. Wie etwa Kunden, Lieferanten, Kapitalgeber.

Was hat diese "Clan"-Eigenschaft für Effekte?

Heller: Sie gibt Personen eine stärkere, längerfristige Bindung an das Unternehmen, und das schafft Wert. Beispiel Mitarbeiter: Die fühlen sich besser aufgehoben, bilden sich weiter, die Fluktuation sinkt. Beispiel Kunden: Auch sie fühlen sich im Unternehmen besser aufgehoben, viele Kunden wechseln, weil sie im Unternehmen nicht genug Aufmerksamkeit bekommen. Es ist auch einfacher, diese Kunden mit neuen Produkten zu konfrontieren. Beispiel Lieferanten: Dienstleister sind mit den Unternehmensprozessen besser vertraut oder auch bereit, gemeinsam in Forschung und Entwicklung zu investieren.

Sie kritisieren das " Networking"?

Heller: Ja, Networking bleibt sehr an der Oberfläche. Der Clan vernetzt sich auch in der Wertewelt. Beim herkömmlichen Networken ist die Bindung zudem sehr individualisiert, sie hängt davon ab, ob jemand persönlich ein guter Networker ist oder nicht. Da transferiert man nur seine eigene Wertewelt. Die Mitglieder eines Clans hingegen sprechen von gemeinsamen Werten.

Geht es beim Clan-Konzept darum, mehr Geld zu verdienen oder die Menschen glücklicher zu machen?

Heller: Ich glaube, dass Clan-Unternehmen langfristig ertragreicher und stabiler sind. Gleichzeitig kann ich einen Clan nur dann schaffen, wenn ich authentisch bin. Ein Clan, der nur durch das Geld motiviert ist, wäre nicht nachhaltig.

Es gibt also mehr Arbeitsplätze, die Menschen verdienen mehr, und sie sind glücklicher?

Heller: Ja, wobei ich es so formulieren würde: Sie haben mehr Sinn in der Arbeit. Man rubbelt seine Arbeit nicht runter, sondern gestaltet sie sinnvoll, mit Freude, angstfrei. Man ist sehr integriert in eine Gemeinschaft, man hat eine bestimmte Position in diesem Gefüge und erfüllt in diesem eine besondere Aufgabe. Der Zusammenhalt, das Aufeinander-Angewiesensein, das Gefühl, im Gefüge etwas geleistet zu haben, geben eine besondere Befriedigung.

Befürchten Sie nicht, dass Ihre Thesen als gegen den Individualismus gerichtet kritisiert werden könnten?

Heller: Ich sehe eine große Sehnsucht des Menschen nach Zugehörigkeit, danach, in eine Gemeinschaft eingebettet zu sein, sich mit anderen identifizieren zu können - und das trotz aller Modernität. Die meisten versuchen, diese Sehnsucht im privaten Bereich zu befriedigen. Doch wir verbringen mehr als acht Stunden am Tag im beruflichen Bereich. Man sollte danach trachten, auch diese Zeit "sinnvoll" zu verbringen.

Aber Einzelgänger haben in Ihrem "Clan" keinen Platz? Damit meine ich Personen, die sich nur ungern irgendeiner Autorität unterwerfen.

Heller: Die Frage ist nicht, ob man sich einer Autorität unterwirft, sondern ob man sich auch in Gruppen bewegt. Jeder ist in irgendeine Community eingegliedert, und in einer solchen gibt es immer Spielregeln. Jeder Mensch bleibt ein Individuum, auch in der Gemeinschaft, im "Clan".

Verfügt ein Unternehmen, das langfristige Beziehungen derart betont, über genügend Flexibilität, um rasch auf den Markt reagieren zu können?

Heller: Die Flexibilität wird durch Bindung nicht beeinflusst. Die Frage ist nicht, ob man etwa mit einem Lieferanten einen Vertrag hat, sondern ob dieser Lieferant flexibel ist.

Was für eine Rolle spielt die rationale Preisbildung am Markt, wenn in der Wirtschaft "Clan-Unternehmen" vorherrschen?

Heller: Gegenfrage: Wie viel Prozent einer Entscheidung werden im Kopf, wie viel im Bauch getroffen? 95 Prozent des komplexen menschlichen Entscheidungsprozesses resultiert aus der somatischen Steuerung - und das gilt auch für kaufmännische Entscheidungen. Auch heute entscheiden in vielen Fällen Beziehungen, Einstellungen, Werte.

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