Benvenuto Cellini: Es ist ja doch immer Fasching

Die Figur eines Models, die Stimme einer Diva: Maija Kovalevska triumphierte trotz widriger musikalischer Umstände im Großen Festspielhaus.
Die Figur eines Models, die Stimme einer Diva: Maija Kovalevska triumphierte trotz widriger musikalischer Umstände im Großen Festspielhaus. (c) AP
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Salzburg macht aus einer Berlioz-Oper eine laute, schrille Revue.

Die Sache mit dem Salzfass hat Benvenuto Cellini hierzulande geradezu zu einem populären Namen werden lassen. Jetzt reichen die Salzburger Festspiele eine Revue nach, die aus der bewegten Biografie des italienischen Renaissance-Künstlers ein Panoptikum in Form eines gigantischen Videoclips werden lassen: So lustig, so bunt, so schrill lässt sich das Leben in Rom anno 1532 imaginieren, wenn man die utopischen Visionen der damaligen Vordenker mit unserer eigenen Realität kreuzt und daraus eine atemlose, musicalreife Parade von Showeffekten macht.

Das Salzburger Festspielpublikum quittierte das von Philipp Stölzl perfekt arrangierte Spektakel mit viel Gelächter zwischendurch und zuletzt mit lautem Applaus. „Benvenuto Cellini“, dachte man da, ist eine unterhaltsame Sache, leicht konsumierbar wie ein Zeichentrickfilm. Ob Hubschrauberlandung, Jongleurtricks, Feuerwerk, Mode-Show (jede Strophe einer Arie in neuem Kostüm aus der Werkstatt von Kathi Maurer) – in dieser Inszenierung bleiben alle und alles nahezu ununterbrochen in Bewegung.

Eine Lärmorgie zur Bilderflut

Dass es bei diesem Dauertumult in Wahrheit um eine Oper gehen sollte, ist nur dem Programmheft zu entnehmen, denn von der Musik Hector Berlioz' dringt wenig ins Bewusstsein der Zuschauer vor. Nicht nur, weil die maßlose Optik dieser Produktion jeglichen Sinn für akustische Differenzierungen übertäubt, sondern auch deshalb, weil diese Differenzierungen gar nicht stattfinden.

Denn am Pult der Wiener Philharmoniker werkt Valery Gergiev, der mit „Benvenuto Cellini“ – zum wievielten Mal eigentlich schon? – ein musiktheatralisches Werk zu einer Lautstärkenorgie sondergleichen degradiert. Wo Berlioz das Karnevalstreiben, in dem sich nicht nur eine Liebesgeschichte, sondern auch Mord und Totschlag zwischen den Verehrern der schönen Teresa, der Tochter des päpstlichen Schatzmeisters, ereignen, Chor und Orchester zu kräftigen Lebensäußerungen animiert, da kennt Gergiev nur eines: haltloses Gedresche ohne jeglichen Sinn für dynamische Feinabstimmung. Blechbläser und Schlagwerk machen schon in den ersten Takten der Ouvertüre jeglichem Versuch der Streicher den Garaus, sensiblere Töne anzuschlagen.

Zauberhafte Maija Kovalevska

Und den Sängern wird auf diese Weise jede Chance genommen, ihre Stimmen halbwegs differenziert zu präsentieren. Wo man sie hören kann, ahnt man zuweilen allerdings auch, dass wenig edle vokale Substanz aufgeboten ist, bei Brindley Sheratt zum Beispiel, der als Teresas Vater zwar eine hinreißende Slapstickfigur abgibt, aber an den wenigen Stellen, wo ihm das Orchester ein akustisches Schallloch freihält, wenig mehr als heiße Luft hören lässt. Bei Mikhail Petrenko auch, der dem Papst ClemensVII. mehr das von der Regie beabsichtigte Popstarimage, aber wenig profunde Herrschertöne verleiht.

Erst im zweiten Akt, am Karfreitag, wo die Partitur mangels Faschingslärm durchlässiger wird, hört man die eminente Qualität der Sopranstimme von Maija Kovalevska, die als Teresa nicht nur wie ein Model am Laufsteg posieren kann, sondern auch Koloraturen, lyrische Kantilenen und dramatischere Entfaltungen ebenmäßig und mit anrührender Farblichkeit zu gestalten weiß. Kennten die Philharmoniker die Partitur, hätten sie sie jemals mit einem sensibleren Dirigenten erarbeitet, dann würden sie wohl manches Arioso einer solchen Sängerin durch anschmiegsame Begleitung zum kleinen Ereignis modellieren.

Sie könnten auch dem Titelhelden helfen, die von Berlioz in aberwitzige Höhen geschraubten Anforderungen eleganter zu bewältigen, als Burkhard Fritz das tut. Der Tenor kann den Part des Cellini immerhin ohne Blessuren überwinden. Das ist viel und wird vom Publikum auch entsprechend bedankt. Gestalterische Feinarbeit, soweit bei diesem Dirigat überhaupt möglich, findet freilich nicht statt; sie ist, man hört es, eher die Sache des Gegenspielers im amourösen Kampf, Laurent Naouri, der dem päpstlichen Bildhauer Fieramosca auch vokales Profil gibt; sogar dort, wo Berlioz rasante Buffo-Gesten im Geiste Rossinis vorschreibt.

Zungenbrecher für den Chor

Mit dem Tempo übertreibt es der Dirigent in solchen und ähnlichen Momenten freilich auch: So wird es dem höchst engagiert ans Werk gehenden Staatsopernchor während des Karnevals kaum mehr möglich, im Takt zu bleiben, denn die Worte sind im Dauerprestissimo gar nicht mehr auszusprechen, geschweige denn musikalisch flexibel zu artikulieren.

Bleiben ein paar Momente auf der Habenseite, in denen Regie wie Dirigent ihre massierte Quirligkeit ein wenig reduzieren und etwa der wackeren Einspringerin Kate Aldrich, die mit eckigen Gesten wie ein Roboter verkleidet den Künstlergehilfen Ascanio mimen muss, die Chance geben, eine Arie wirklich in Ruhe – wenn auch in seltsamer Lage – zu singen. Da wird dann eine herb-schöne Stimme hörbar, und man hat für fünf Minuten den Eindruck, einer Opernpremiere beizuwohnen.

Der Rest versinkt – samt Happy-End – in Praterstimmung, Hochschau- und Geisterbahn inbegriffen. Ob man Berlioz' „Benvenuto Cellini“ wirklich aufführen muss, bleibt szenisch wie musikalisch ungeklärt.

BENVENUTO CELLINI: Fakten

Hector Berlioz komponierte die Oper rund um den Goldschmied (1500–1571) 1835–1838.

Festspiele im TV: Die Produktion wird am 15.August von ZDF und 3sat übertragen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.08.2007)

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