Stallone und Depardieu: Faltige Freuden, Altern in Würde

Neu im Kino: Sylvester Stallone kämpft sich als "Rocky Balboa" durch den sechsten Teil der Boxer-Saga, Gérard Depardieu gibt den verbrauchten Provinz-Chansonnier in "Chanson d'amour".

Willkommen in Sylvester Stallones amerikanischem Traum: 30 Jahre, nachdem ihn die selbst verfasste Boxer-Rolle zum Weltstar machte, kehrt er 60-jährig als Rocky Balboazurück. Das Fleisch hängt zwar schlaff vom Bodybuilder-Körper, Krampfadern ziehen sich die Arme hoch, aber das späte Comeback lehrt ohnehin: Nur der Wille zählt.

Zuletzt, in Rocky V – erschienen, als noch Bush senior seinen Irakkrieg führte –, war Stallones Boxer bankrott, hatte schweren Hirnschaden, aber der unermüdliche Autor-Regisseur-Darsteller weiß: Die Faszination (s)einer Underdog-Figur liegt in der Bereitschaft, es wieder zu versuchen. Rockys Credo heute: Es geht darum, wie viel du einstecken kannst – und trotzdem weitergehst. Das alte Viertel in Philadelphia mag verfallen, der (uramerikanische) Individualismus des Helden ist ungebrochen: Wäre er 150 Jahre alt wie die Häuser, räumt Rocky ein, ja dann würde er vielleicht auch auseinanderfallen.

Ein seniles Märchen: absurd und ehrlich

Ach ja, nichts ist mehr wie früher, nur die Story: Der neue Film ist weniger Fortschreibung jener patriotischen Saga, in der Stallone zur Reagan-Ära stellvertretend den Ostblock-Klotz drosch, sondern fast Remake des Ur-Rocky. Ideologisch ist das wieder, noch immer, wirres Zeug: Damals war das Trauma Vietnam, heute ist es eher Neoliberalismus als Irak, überwunden wird es nicht, nur weil der Held sein knautschiges Bassetgesicht, die müden Glieder verprügeln lässt, selbst wenn es das Selbstwertgefühl fördert.

Aber als seniles Märchen ist Rocky Balboa großartig, in seiner Absurdität wie in seiner Ehrlichkeit: Bevorzugt mit lächerlichem Hut nervt Restaurantbesitzer Balboa greise-weise nuschelnd mit Erinnerungen an die gute alte Zeit, findet einen treuen Begleiter im Hund „Punchy“ – und in einer scheuen Alleinerzieherin platonischen Ersatz für Gattin Adrian (gestorben an the woman cancer, wie Rocky typisch sensibel sagt), deren oft besuchtes Grab alle Vergänglichkeit betont.

Unvergänglich ist der naiv-sentimental beschworene Arbeiterklassengeist: Schwager Paulie (Burt Young) hackelt noch immer in der Fleischfabrik, schimpft, trinkt und malt wie besessen (man hat Angst, dass er sich irgendwann ein Ohr abschneidet). Philosophierende Selbstgespräche Rockys beginnen (will er nur den alten Schmerz durch neuen ersetzen?), betonen: Es wird Ernst. Bald fährt die Trainingsmontage (Morgenlauf, Rinderhälften, rohe Eier) zur alten Fanfare ein, als wäre keine Zeit vergangen. Ist sie doch, das verrät etwa der ungut auffrisierte Videoclipstil des Schlusskampfes, aber der lehrt wiederum, dass die Niederlage den altersrenitenten Triumph nicht mindert.

Bei Rocky waren Lächerlichkeit und Größe stets untrennbar, die großen Szenen von Gérard Depardieus würdiger Altersrolle in Chanson d'amour meiden alle drohende Karikatur: verbrauchter Provinz-Chansonnier auf Tanztee-Tour, das Herz auf der Zunge. Regisseur Xavier Giannoli filmt das, samt überaltertem Publikum, mit einem Respekt, der einem Respekt abnötigt. Mtata-Rhythmen ahnen verwehte Grazie, singt dazu Depardieu (hervorragend) höchstselbst: Leidensmiene, Leidenschaft, Mourir d'aimer.

Depardieu singt vom Rheumatismus

Erzfranzösische Melancholie überall. Über des Sängers Schlafstatt erinnerungsträchtig ein Mike-Brandt-Poster, Clermond-Ferrand ist Heimstatt von Holleins Vulkanmuseum, der Originaltitel Quand j'étais chanteur verdankt sich dem hübschen Chanson über dem Nachspann: ironischer Sängerlebensrückblick mit Klage über mon rhumatisme.

Ach ja, nichts ist mehr wie früher: Giannolis Film ist in vieler Hinsicht anspruchsvolles frankophiles Bildungsbürger-Äquivalent zur Stallones proletarischer Fantasie, bietet angelegentlich Menschenkenntnis statt Ikonografie. Servierbasis: eine langsam köchelnde Liebesgeschichte. Der Chanteur stolpert, pour un flirt avec toi, in einen One-Night-Stand, ausgerechnet mit Frankreichs Bubikopf-Liebling Cécile De France. Die gewollte Beziehung zeitigt Hoffnung, Zweifel und Selbstreflexion, auf höherem Niveau als in Rocky Balboa, nicht weniger, nur besser konstruiert. Am Ende immerhin: Kuss statt Kampf. Vielleicht muss das so sein, der Konzeption gemäß: Depardieus Rolle ist wie ein Geschenk, Stallone hat seine durchgeboxt.

Inline Flex[Faktbox] ERFOLGREICHE ALTERSROLLEN("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.02.2007)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.