Berlinale: Starke Frauen, nicht nur aus China

Wie lebt man in der Welt? Diese Frage stellte sich beim Berliner Filmfestival nicht nur die Hauptfigur im Siegerfilm: "Tuyas Ehe" von Wang Quan'an.

Als Tuya das erste Mal zu sehen ist, wie sie langsam über die Horizontlinie in Richtung Kamera reitet, auf einem mächtigen zotteligen Kamel eine Schafherde vor sich her treibend, und dann verharrt – dann ist das ein Auftritt, der eines Westernhelden würdig ist. Tuya aber ist eine hart arbeitende Frau in der mongolischen Steppe, und mit einem Westernhelden hat sie allenfalls das Durchhaltevermögen gemein. Das braucht sie auch, denn Tuya hat sich vorgenommen, einen Mann zu finden, der sich nicht nur um sie und ihren Sohn kümmert, sondern auch ihren derzeitigen Ehemann, einen Invaliden, mit in die Familie aufnimmt.

Tu ya de hun shi (Tuyas Ehe) – Gewinner des Goldenen Bären der diesjährigen Berliner Filmfestspiele und tatsächlich einer der wenigen Filme, die aus dem betrüblichen Mittelmaß des Wettbewerbs herausragen –, erzählt die wechselvolle Geschichte dieser abenteuerlichen Suche mit Sinn für Humor und Gespür für emotionale Nuancen und spart doch auch das Tragische der Situation nicht aus. Denn Tuya und ihr kranker Mann lieben einander, was es nicht eben einfacher macht, eine Lösung zu finden, die allen Beteiligten gerecht wird. Ohne Sentimentalität und Volkstümelei zeichnet Regisseur Wang Quan'an ein realistisches Bild von den Arbeits- und Lebensbedingungen seiner Protagonisten. Er kommt ihnen dabei so nah, dass ihre Hoffnungen sichtbar werden als pure Kraft, mit der sie sie gegen alle Widrigkeiten verteidigen.

Auf der Pressekonferenz nach der Preisverleihung äußerte der hocherfreute Wang Quan'an die Hoffnung, die Auszeichnung möge helfen, das chinesische Kino vielfältiger zu gestalten. Er wünsche sich mehr Filme, die zeigen, wie das Leben der einfachen Leute aussieht, mehr Filme, die Fragen stellen. Filme, die Antworten geben und zeigen, wie es sein soll, gebe es genug.

Marianne Faithfull als Großmutter

Nicht wenige hätten Yu Nan, der Darstellerin Tuyas, auch den Silbernen Bären für die Beste Schauspielerin gegönnt. Oder ihn Marianne Faithfull gegeben, die im konsensfähigen, durchaus humorigen Wohlfühlfilm Irina Palm eine Großmutter spielt, die ihrem todkranken Enkel zuliebe Sexarbeiterin wird. Der Preis ging jedoch wohlverdient an die sichtlich überraschte Nina Hoss für ihre intensive und subtile Gestaltung der Titelrolle in Christian Petzolds ausnehmend schöner, präziser Geistergeschichte Yella.

Überhaupt waren starke Frauenfiguren zahlreich in den Wettbewerbsfilmen vertreten. Angefangen von der Live-fast-and-die- young-Edith-Piaf des Eröffnungsfilms bis zur realitätsverleugnenden Romantikerin Angel Deverell in François Ozons Angel, der die Festspiele farbenprächtig beendete. Auch der Anteil der Regisseurinnen, die ihre Filme bei der Berlinale vorstellen, hat sich in den vergangenen Jahren erfreulich kontinuierlich erhöht. So darf keinesfalls unterschlagen werden, dass Anja Salomonowitz' bereits mit dem Wiener Filmpreis ausgezeichnetes Dokumentarfilm-Experiment Kurz davor ist es passiert in Berlin mit dem Caligari-Preis prämiert wurde. Die von Salomonowitz so überzeugend vorgenommene Verschränkung von subjektiver und gesellschaftlicher Situation durchzog auch den Wettbewerb wie ein roter Faden.

Mut, die Kriege zu beenden

Bekanntlich versteht sich die Berlinale als ein Festival mit hohem politischem Anspruch. Der sah sich heuer auf vergleichsweise indirekte Weise realisiert. Soll heißen, dass die politische Lage über ihre Auswirkungen auf den Einzelnen in den Blick genommen wurde. Entweder ganz allgemein gefasst als das Problem eines Mannes, ein Verhältnis zu Leben und Tod zu finden, wie in dem zweifach – mit dem Großen Preis der Jury und dem Preis für den Besten Darsteller, Julio Chavez – ausgezeichneten El Otro von Ariel Rotter. Oder wie im Gewinner des Silbernen Bären für die Beste Regie, Joseph Cedars Beaufort, der die letzten Tage der israelischen Besetzung der gleichnamigen Festung im Libanon schildert. Desillusionierend setzt Cedar die ermüdende Routine einer festgefahrenen Kriegssituation in Szene und zeigt die Mühe, die es kostet, sie zu beenden. Er wünsche sich, sagte Cedar in seiner Dankesrede, dass die Verantwortlichen den Mut finden, die Kriege zu beenden. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Inline Flex[Faktbox] PREISE DER BERLINALE("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.02.2007)

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