Film "Iklimler": Ewig das Ego des Regisseurs

Der Türke Nuri Bilge Ceylan als Universitäts-Professor Gis in einem auto-therapeutischen Film über seine Ehe.

Ein Sommer im türkischen Südwesten: Der Universitätsprofessor Gis (der Regisseur des Films: Nuri Bilge Ceylan) kraxelt mit seiner Frau Bahar (Ebru Ceylan) über historisches Gestein, Metapher für ihre bröckelnde Beziehung. Wenig später trifft die Sonne auf das makellose Gesicht der erfolgreichen Schauspielerin und ihre Gestalt wirft Schatten auf den staubigen Boden des Mittelmeerortes Ka, wo vieles ewig erscheint, und der Verfall zumindest wunderschön. So eröffnet Ceylan, momentan neben Zeki Demirkubuz prominentester türkischer Kunstfilm-Regisseur, seinen autotherapeutisch wirkenden vierten Spielfilm Iklimler – Jahreszeiten, in dem er seine Frau und sich selbst als Ehepaar in Auflösung inszeniert. So kräftig die Schauplätze auch sind, so verwelken sie doch unter der strengen Hand des Formalisten, der den Zufall suspendiert und stattdessen totale kreative Kontrolle installiert, die selbst die klassische Musik des Vorspanns als schnödes Radioprogramm ausweist. In Ceylans hermetisch abgeriegelte, weil so persönliche Welt erhält auch der Zuschauer nur beschränkten Zugang – oder muss sich mit der dominanten Autorenhaltung des Regisseurs arrangieren. Weit weniger reflexiv als etwa Abbas Kiarostamis Regiearbeiten denkt sich der türkische Intellektuelle als türkischen Intellektuellen in einer Sinnkrise, und bald wird klar: Ceylan inszeniert weniger Figuren als Räume.

Der durchdringenden Wärme der Eröffnung folgt ein verregneter Zwischenteil, in dem – gemäß der Witterung – alte Beziehungskonstellationen und Schuldzuschreibungen weggewaschen werden. In Istanbul kehrt Gis in den Schoß seiner Geliebten Serap zurück und zwingt sie, nachdem sie ihn abgelehnt hat, zum Geschlechtsverkehr.

Eine rollende Nuss als Erzählkrücke

Ceylan weicht in seinen Bildern aus und stellt die Form schützend vor den Inhalt: Zwar inszeniert er eine aggressive, schockierende Sequenz, traut sich jedoch keinerlei Direktheit zu, sondern vermittelt die Brutalität über die (abstrakte) Erzählkrücke einer durch den Raum rollenden Nuss, die seinen leeren Symbolismus veranschaulicht. Pfeifender Wind bedeutet in Iklimler gewaltsame Veränderung, Donnerschlag das Wegbrechen von Sicherheit, und der Fernsehbericht über ein Erdbeben innere Unruhe. Wenig verwunderlich, dass Gis' unvermeidliche Bahar-Rückholaktion im verschneiten, ostanatolischen Agri stattfindet. Dort dreht sie eine Fernsehserie und verkraftet die plötzliche Präsenz ihres Ehemannes zuerst gar nicht, später nur mit Tränen.

Ceylan zeigt sich jetzt endgültig als Bildbeherrscher: Zum natürlichen Schneefall addiert er digitalen, dessen von Computern berechnete Flocken direkt vor dem Kameraobjektiv umherfliegen und Iklimler zunehmend sterilisieren. Vermochten die zwei ersten Drittel der Erzählung aufgrund präziser Alltagsbeobachtung (die Abendessen-Sequenz in Ka) oder griffiger Formästhetik (die Veränderungen im meteorologischen wie im zwischenmenschlichen Klima) zu gefallen und berühren, erstarkt die Erzählung in Agri und fährt sich in erschütternd selbstverliebten Leidensbildern fest.

Zum Ende hin sucht Ceylan die formale Klammer und findet sie in einem beeindruckenden Palastgebäude, in dem sich die historischen Trümmer des Anfangs spiegeln. Einmal mehr geht eine persönliche Geschichte inmitten von Geschichte auf, im Fall von Iklimler viel mehr unter: Ewig scheint hier nur das Ego des Regisseurs.

Inline Flex[Faktbox] ZUR PERSON: Nuri B. Ceylan("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.03.2007)

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