"The Last King of Scotland": Der ganz joviale Wahnsinn

Neu im Kino. Forest Whitaker brilliert als Idi Amin in "The Last King of Scotland".

Hübsch, dass ein Film über Ugandas Diktator und seine Liebe zu Schottland mit einem Witz über Kanada beginnt: Darauf zeigt der Finger des Anfang der 1970er gerade fertig ausgebildeten schottischen Doktors, als er den sich drehenden Globus anhält. Dorthin will der abenteuerlustige junge Mann nun wirklich nicht: Er revidiert seinen voreiligen Schwur, ein zweiter Versuch – Uganda.

Der Vorspann ist noch nicht vorbei, da hat Kevin Macdonalds The Last King of Scotland die Naivität des Protagonisten schon deutlich demonstriert: Dr. Nicholas Garrigan wundert sich auf der Busfahrt zur Klinik in Ugandas Hinterland über die vielen Soldaten, interessanter ist für ihn aber Sex mit der weiblichen Reisebekanntschaft.

Dolce Vita dank des Diktators

Der junge Schotte James McAlvoy spielt den jungen schottischen Arzt vorzüglich harmlos und hedonistisch und etwas zu heutig in Ahnungslosigkeit wie Aufsehen wie Auftreten. Aber das gibt diesem neuen Eintrag ins derzeit wieder sehr populäre Filmgenre „finsteres Afrika, westliche Schuldgefühle“ erst die Berechtigung: Mangels Helden(haftigkeit) gibt es hier kein unehrliches weißes Heldentum mit schlechtem Gewissen vor schwarzer Kulisse wie in Der ewige Gärtner. Und der moralische Zeigefinger, eben in Blood Diamond weit ausgestreckt, ist hier eigenartig krumm: Zwar gipfelt der etwas pathetische letzte Akt in einer Klischee-konformen Rettung durch einen Einheimischen (der noch extra sagt, dass er nicht weiß, warum er das tue), doch das eigentliche Entkommen ist eine Pointe mit Widerhaken.

Davor darf der Doktor durchgängig diktatorisches Dolce Vita genießen: In der Klinik hält es ihn nur kurz, die Frau seines Chefs (fein und kaum kenntlich: Gillian Anderson) interessiert sich tatsächlich für Medizin und Hilfeleistung. Idi Amin hingegen interessiert sich für Schottland: Das kuriose Zufallstreffen mit Garrigan zeigt eine bemerkenswerte Szene, zum entnervenden Schreien einer angefahrenen Kuh choreografiert. Sie mündet in einem gefährlichen Gnadenschuss – und im schließlichen Diktatorenbekenntnis seiner Schottland-Bewunderung (nur das rote Haar, sicher sehr attraktiv für Europäer, sei für Afrikaner widerwärtig).

Nationalität und Handverband genügen: Garrigan tauscht nicht nur wörtlich sein Leiberl mit dem General, sondern den Job im Provinz-Slum gegen eine Leibarzt-Anstellung, Geschenksoption inklusive (Wohnung, Wohlwollen, Sportwagen). Die Mixtur aus Komik und Gefahr bleibt maßgeblich: Amins Bauchweh wird durch Produktion eines Riesenfurzes geheilt, anderntags entgeht man nur knapp einem Attentat. Macdonalds Regie schwelgt hier wie dort in expressionistischen Details am Rande, die fett übersättigte Farbfotografie von Anthony Dod Mantle betont den Zug zum Surrealen.

„Alle Abscheulichkeiten sind möglich“

Das macht späte Zugeständnisse ans Faktische, hölzern nachholende Erklärungen zum Terror-Regime, als Garrigan endlich Amins Abgründe dämmern, besonders enttäuschend. Eine perverse Entschädigung ist das Spektakel einer finsteren Potentaten-Privat-Porno-Projektion von Deep Throat bald nach der Entdeckung eines mit unmenschlichem Gliedertausch zu Tode operierten Opfers. „Fast alle Abscheulichkeiten sind möglich“, antwortet der erschütterte Arzt auf Amins Frage nach der Glaubhaftigkeit des Klitoris-im-Hals-Sexfilms.

Die Tiefe der Einsichten bleibt so begrenzt, aber das wahre Spektakel von Last King of Scotland ist ohnehin die oscar-gekrönte Darstellung des Diktators durch Forest Whitaker, quasi das dunkle Gegenstück zu Helen Mirrens ebenso filmüberragender Oscar-Darstellung in der Tragikomödie The Queen – deren Drehbuchautor Peter Morgan auch hier mitschrieb. (Dazu passt perfekt, dass sein Amin einiges von der kolonialen Tyrannei der Briten gelernt hat.)

Während Regisseur Macdonald offensichtlich Barbet Schroeders unglaubliche Dokumentation Général Idi Amin Dada: Autoportrait (1974) genau studiert hat, hat sich Whitaker Amins Manierismen in Gestik und Rede völlig angeeignet (die deutsche Synchronisation ist daher ruinös). Dass er Amin nicht besonders ähnelt, ist egal: Er findet Zugang zur Seele eines jovial Wahnsinnigen, und die charismatische Mischung aus Hilflosigkeit und Unberechenbarkeit ist so überzeugend, dass die völlige Unbedarftheit seines jungen Protegés kein Problem ist. Jedenfalls, bis sich das Gewissen zu Wort meldet.

Inline Flex[Faktbox] „SCHLÄCHTER VON AFRIKA“("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.03.2007)

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