Kino: Auch sie wissen nicht, was sie tun

"Alpha Dog" von Nick Cassavetes, ein jetziges Jugenddrama, am Mittwoch als "Presse"-Premiere gezeigt.

In einem Raum des großzügigen Hauses hängt ein Poster von Al Pacino als Scarface, im Wohnzimmer feiern junge Männer eine Party, im Hintergrund zeigt ein TV-Sender das Musikvideo eines Gangsta-Rappers. Nick Cassavetes' Krimidrama Alpha Dog spinnt gleich zu Beginn ein dichtes Netz aus Bezugssystemen und gibt sich betont realitätsnah – immerhin basiert die Geschichte auf einem wahren Fall.

So spielt sie dann auch im Film in einem studentisch geprägten kalifornischen Städtchen, Claremont. Unweigerlich erinnert man sich an den schicken, sauberen Ostküsten-Vorort, in dem James Gandolfini als Mafiaboss Soprano in der gleichnamigen TV-Serie wohnt: Auch der „Alpha Dog“ ist weiß, hat zudem wohlhabende Eltern. Er heißt Johnny Truelove, ist gerade zwanzig und mittelgroßer Koks-Dealer: eine durch und durch charismatische Persönlichkeit, umwuselt von Jungmännern, die er weniger durch physische Präsenz denn durch psychische Dominanz gefügig macht.

Kamera: Zeitgeistig verrissen

Nick Cassavetes, Sohn des großen US-Regisseurs John Cassavetes, zeigt schon in der ersten Sequenz jene ungnädige Hackordnung, die einen der tumberen Jungen als Untersten bestimmt. Fortan befindet sich der im prekären Abhängigkeitsverhältnis zu den anderen, wird durch untergriffige Verbalattacken zur „Schwuchtel“, wird seiner Macht beraubt, wird zum Schoßhund. Die Dramaturgie will es, dass gerade er später jene Tat begeht, über die all die anderen nur sprechen. Alpha-Tier Truelove hingegen hat diverse Sicherheitsnetze gespannt: Sein Vater (grenzwertig: Bruce Willis) pflegt Beziehungen zu den Mächtigen der Region, dessen Freund Cosmo (lakonisch, gewaltig: Harry Dean Stanton) dient als Ratgeber, seine Jungs führen die Drecksarbeit aus. Kameramann Robert Fraisse filmt zeitgeistig verrissen, ist nah dran an den kräftigen Figuren und transportiert im Besonderen die Sauberkeit des Vororts, in die das gewalttätige Element so beständig einfällt.

Aber Alpha Dog ist nicht, wie es die Werbung für den Film will, hippe Drogengeschichte oder überstilisierte Kleinkriminellenballade, sondern jetziges Jugenddrama: Die fast vollständige Abwesenheit von Autorität begünstigt die Ausformung einer Mikrogesellschaft, in der sich popkulturell stilisierte Gewalt und adoleszente Aufmüpfigkeit zum gelangweilten Rebellentum verbinden. Dieses palavert eher über die Tat, als dass es sie begeht: die Schusswaffe in der Schublade, die Geringschätzung von Frauen, das Gangster-Idiom – alles ist Ausdruck einer Lebensart, nicht einer Lebenswelt. Truelove und seine Kollegen (darunter Justin Timberlake) genießen das Privileg der Entscheidung: Schon im nächsten Monat können sie in den elterlichen Schoß zurückkriechen und es sich im weißen Vorort am Schwimmbecken gemütlich machen.

Diejenigen, die sich nicht entscheiden können, zerstören das fragile Machtgefüge. Jake Mazursky (großartig: Ben Foster) ist ein cholerischer Drogensüchtiger mit kahl geschorenem Schädel und bei Truelove verschuldet. Nachdem er dessen Haus zerlegt hat, beschließt dieser, Mazurskys kleinen Bruder Zack (Anton Yelchin) zu entführen und Lösegeld zu erpressen. Bis zu einem gewissen Moment gestaltet sich das Kidnapping für Entführer wie Entführten als verspielter Sonntagnachmittag: Zack fühlt sich vom Gangster-Chic angezogen, verliert seine Unschuld an Mädchen in Trueloves Dunstkreis, vergisst darüber seine Opferrolle.

Solidarität? Illusion!

Cassavetes inszeniert zu viel von Alpha Dog mit den Augen dieses Buben, hinterlässt den Zuschauer als Staunenden über all den Reichtum, all das Ansehen, all die Freiheit, die Kleinkriminalität zu produzieren scheint. Doch erfährt dieses Rebellentum einen gewaltigen Knick, wenn klar wird, dass nicht nur der Unbeteiligte – wie in Nicholas Rays Rebel Without a Cause – sein Leben lassen muss, sondern jegliche Solidarität nur temporäre Illusion, nur Teil des Spiels und somit Attitüde war. So lautet eine Botschaft gegen Filmende: „Ich liebe dich, aber du bist auf dich allein gestellt.“

Man mag Cassavetes zu starkes Flirten mit jener Ästhetik vorwerfen, die er kritisieren will, doch arbeitet seine Inszenierung einem abgründigen Höhepunkt zu, dessen gewaltiger Einschlag jeglichen Chic annulliert und Figuren wie Zuschauer im Moment auf jene tierische Ebene wirft, auf die bereits der Titel hinweist. Dann nämlich sind aus Worten unversehens Taten geworden, und es beginnt das Hundeleben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.03.2007)

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