Kritik Film: "Hilfe – die Zahl ist hinter mir her!"

"The Number 23" von Joel Schumacher: Eine heimtückische Gleichung mit mehrfach unbekannten Variablen.

In Kreisen von Verschwörungstheoretikern und Zahlenmystikern rankt sich um die Zahl 23 so mancher Humbug. Frisch hinzugekommen ist dieser Film. Mit The Number 23 demonstriert Regisseur Joel Schumacher einleuchtend, möglicherweise aber unfreiwillig, wie Zahlenmystik und Verschwörungstheorie funktionieren: durch simple Behauptung. Anders gesagt, Einbildung. Bildet man sich ein, dass es mit der 23 etwas auf sich hat, schwupps!, schon taucht sie allerorten auf und scheint etwas zu bedeuten. Menschen mit Hang zur Quersummenbildung sind für derlei numerologisch-paranoiden Zeitvertreib besonders anfällig.

Hundefänger Walter Sparrow (Jim Carrey) zum Beispiel fühlt sich von der 23 verfolgt, seitdem ihn eine mächtige Bulldogge namens Ned zu spät zu einer Verabredung mit seiner Frau Agatha (Virginia Madsen) hat kommen lassen, was die wiederum dazu veranlasst hat, ihm ein Buch mit dem Titel „The Number 23“ zu kaufen, das wiederum geschrieben wurde von – halten Sie sich fest! – Topsy Kretts. Top Secret also, was da drinsteht. Und in mehr als einer Hinsicht, wie sich herausstellen wird.

Die elaborierte Kausalkette, die schon den Beginn ins Absurde wuchern lässt, setzt sich auf allen Ebenen fort. Denn natürlich beginnt man in einem Film solchen Titels sofort, nach der 23 zu suchen, selbstverständlich wird man reichlich fündig. So vollgestopft sind die Bilder, dass einem die wildeste Wendungen vollführende Handlung entgleiten könnte, ließe man sich allzu sehr von all den möglichen Hinweisen auf möglicherweise geheime Nachrichten ablenken.

Das Buch, von dem Sparrow gefesselt ist, ja das ihn regelrecht in Besitz zu nehmen scheint, handelt von einem Privatdetektiv namens Fingerling, der, besessen von der 23 und krankhaft eifersüchtig, einen Mord begeht. Fingerling kommt Sparrow seltsam vertraut vor, und schon ergreift die 23 auch von ihm Besitz – aber aus Eifersucht morden? Er, der kreuzbrave Familienvater?

Besser, man macht sich auf alles gefasst, denn The Number 23 zählt zu einer besonders heimtückischen Strömung im Gegenwartskino. Die von Drehbuchautor Charlie Kaufman begründete Schule, aus der so unterschiedliche Werke wie The Prestige, Déjà Vu, Babel und demnächst Premonition hervorgegangen sind, huldigt lustvoll erzählerischer Diskontinuität respektive der überraschenden Schlusswendung, die alles Vorangegangene in neuem Licht erstrahlen lässt – und das Publikum, sofern es nicht aufgepasst hat, ein zweites Mal ins Kino zwingt. Am Ende deckt The Number 23 keine Weltverschwörung auf, sondern ein verschüttetes Leben. Das ist aber weder ein Mangel des Films noch Grund zur Enttäuschung. Vielmehr liefert die Maus, die das Kreißen des Bergs gebiert, ein schlüssiges Symbol für das eigentliche Wesen der Numerologie: viel Lärm um Nichts. Oder etwa nicht?

Bis die Sicherungen durchbrennen

Denn Bulldogge Ned trägt den Spitznamen „Guardian of the Dead“ nicht umsonst, und die verdächtig beiläufig erwähnten Psalmen 23 und 32 handeln von der Sicherheit im Glauben beziehungsweise vom Segen der Sündenvergebung. Erstaunlich, wie es Schumacher am Ende gelingt, dem paganistischen Zahlenzauber ein Fundament in religiösen Moralvorstellungen zu geben, die vermeintliche Schicksalsmacht der Zahl 23 mit einem vermeintlichen Fingerzeig Gottes zu erklären und so den einen irrationalen Erklärungsversuch mit dem anderen irrationalen Erklärungsversuch kurzzuschließen. Bis die Sicherungen durchbrennen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.04.2007)

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