Neu im Kino. Roll Over Beethoven

Anachronistische Agonie: Ed Harris in "Copying Beethoven – Klang der Stille".

Alle nennen ihn nur ehrerbietig „Maestro“, den sozial unzumutbaren Mann, der unter der strähnigen Perücke eines verrückten Wissenschaftlers fuchtelt und schreit. Kein Wunder, ist doch dieser Beethoven (spastisch: Ed Harris) ein Seher: „Now music changes forever“, sagt er noch, bevor er anhebt, die Premiere seiner Neunten Sinfonie zu dirigieren. Die Geschichte wird ihm Recht geben.

Nicht ganz so historisch faktentreu ist, dass dem tauben Genie unglaublicherweise aus dem Orchestergraben vordirigiert wird: von seiner neuen Kopistin (farblos: Diane Kruger). Nicht, dass Beethoven je eine weibliche Notenschreiberin hatte, aber Stephen J. Rivele und Christopher Wilkinson, auf Biografien (Ali, Nixon) spezialisierte Drehbuchautoren von Copying Beethoven – Klang der Stille haben immerhin freimütig zugegeben, dass nur die publikumsträchtige Aussicht auf eine Romanze die (US-deutsche) Finanzierung des Films ermöglichte.

Aber nur davor braucht man in der Flut von Anachronismen keine Angst zu haben – zur großen Liebesgeschichte wächst sich die Erzählung über Beethovens letztes Jahr nie wirklich aus. Ein wenig platonische Hingabe bringt genug Glanz ins einsame Elend der Genialität: Die Kopistin korrigiert eilfertig zu wenig Geniales vom Maestro und putzt ihm die genial verdreckte Wohnung.

Der Maestro verschüttet dieweil manchmal Badewasser durch die Dielen, die Nachbarn darunter beschweren sich: „You've ruined the goulash again“. Schließlich gibt die Kopistin dem gar nicht genialen Freund den verdienten Laufpass, während sich der geniale Maestro über die frauenfeindlichen Vorurteile seiner Zeit hinwegsetzt und ihr Talent bescheinigt. Bravo, Beethoven!

Doch ist es nicht leicht, des Meisters goldnes Herz unter der dicken Make-Up-Schicht zu entdecken. Sentiment wird in der Filmbiografie gebraucht, um die Qual des Künstlers zu kontrapunktieren, gerade das österreichische Kino hat da eine stolze Geschichte klotziger Komponisten-Biografien. (Inszeniert Agnieszka Holland als Austro-Reverenz ganz ernsthaft, was nicht ernst zu nehmen ist? Ist Harris' haltloses Überspielen gar subtiler Burgschauspieler-Tribut?)

Hörrohr für den Märtyrer seines Herzens

Vieles hat sich jedenfalls getan, seit Fritz Kortner 1918 in Märtyrer seines Herzens die Hand wieder und wieder vergeblich-zweifelnd ans ertaubte Ohr hielt: Beethoven hat jetzt ein Hörrohr. Es mindert nicht die Qual, durch die Natur zu wandeln, und nichts zu hören. Oder doch? Der Klang der Stille ist dem Zuseher offenbar nicht zuzumuten, es gibt zum Unlustwandeln Beethovenmusik.

Und Musik ist die Sprache Gottes, weiß Beethoven, der in Wut ob seiner Taubheit gar wider den Schöpfer löckt, ihn verleugnen tät, wär er sein Vater! Der Mix aus Glaubenszweifel und Sehertum lässt beizeiten bangen, dass der Maestro womöglich gleich seine eigene Religion gründet: L. Ron statt Ludwig van. Wahrlich: Roll Over Beethoven!

Knapp vor Ende doch die (vom süßen Seim des visionären Wissens um Zukunfts-Ruhm beförderte) Einsicht: „It had to end this way!“ Drei Schritte noch, dann fällt Beethoven um. Gnädiger als der endlose Mozarttod 1942 in Wen die Götter lieben,aber doch nur zum Haareraufen – wär'n die wirren Perückenhaare nicht schon gerauft.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.04.2007)

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