Held-Sein: private Lust, öffentlicher Dienst

Neu im Kino. Amüsiert und einfühlsam: Sam Raimis exzellenter Blockbuster "Spider-Man 3" startet am 1. Mai.

In wenigen Minuten wird das Handlungsnetz auf die Leinwand geworfen: Wie schon beim letzten Spider-Man-Film kippt der Zuschauer über eine einfache Bilderzählung während des Vorspanns ins Herz der Franchise – und landet beim erwachsenen Peter Parker (ideal: Tobey Maguire). Der bubengesichtige Held hat nach den gewichtigen moralischen Konflikten der Vorgängerfilme – Kernfrage: persönliches Glück oder Weltrettung? – sein Glück in einer Kombination aus privater Lust und öffentlichem Dienst gefunden: Direkt auf das zwischenmenschliche Krisengespräch mit dem puppengesichtigen Rotschopf Mary-Jane (süß: Kirsten Dunst) folgt der pflichtbewusste Sprung aus dem Fenster.

Statt der Identitätskrise gibt es nunmehr ein kontrolliertes Nebeneinander von liebem Jüngling (Parker) und heroischem Mutanten (Spider-Man). Frust hingegen beim Industriellensohn Harry Osborne (James Franco), der seinem ehemaligen Schulfreund Peter die Freundin neidet und ihm die Schuld am Tod seines Vaters gibt.

Bildgewaltige Inszenierung

Sam Raimi, seit seiner Tanz der Teufel-Trilogie für Bildgewalt bekannt, gelingt es, die Achsen der diffizilen Dreierbeziehung in nur einer Szene zu veranschaulichen. Mary-Jane tritt in einem Broadway-Stück auf: Sie schreitet in weißer Robe eine schwarze Treppe hinab (die unschuldige Projektionsfläche); im Parkett hockt sie anbetend Peter (der US-Junge); in der Loge thront, finstere Pläne schmiedend, Harry (der rachelüsterne Seelenkrüppel). Bald liefert er sich als modifizierter schurkischer Kobold mit Gleitbrett und fliegenden Bomben einen ersten, gewaltigen Kampf mit Spider-Man, der für ihn im Krankenhaus endet. Harrys temporäre Amnesie gibt Raimi und Drehbuchautor Alvin Sargent genügend Luft, die Ankunft zweier weiterer Schurken vorzubereiten.

Ein Gefangener (beeindruckend: Thomas Haden Church) betritt auf der Flucht ein wissenschaftliches Versuchsgelände, wird durch ein Experiment zum Gestaltwandler namens „Sandmann“. In seiner Formlosigkeit verdeutlicht sich noch einmal Raimis ausdifferenziertes Moralverständnis: Der angebliche Mörder von Peters Onkel Ben – Grundstein für Parkers ausufernden Schuldkomplex – wird auch als treu sorgender Vater einer schwer kranken Tochter gezeigt.

Das Monstrum ist jedenfalls im dauernden Übergang: Im einen Moment feste Gestalt, zerfällt der „Sandmann“ im nächsten, verwandelt dann einen Arm in einen gigantischen Hammer. Schon die Erweckung dieses Bösewichts ist gewaltig anzusehen: Aus dem tiefen Röhren des Blasorchesters (Soundtrack: erstmals Christopher Young)schält sich das musikalische „Sandmann“-Thema, während sich in der Grube Fein- und Grobkörniges vermengt, erhebt und zusammensackt, letztlich Gestalt annimmt.

Vom Bösen besessen: Eitler Spider-Man

Ähnlich materialistisch die Ankunft der dritten dunklen Kraft: Während Mary-Jane und Peter im Netz liegen, kracht hinter (und somit unbemerkt von) ihnen ein außerirdischer Gesteinsbrocken in die Erde. Darin ist eine symbiotische schwarze Masse, die den Charakter ihres Wirts zum Bösen ändert. Der im Schlaf befallene Peter gefällt sich bald als dunkler Spider-Man in Grenzüberschreitungen, ignoriert heroische Grundwerte wie Mitgefühl und Gnade, umgarnt statt Mary-Jane eine Blondine (Bryce Dallas Howard). Freunde und Familie wenden sich ab.

Doch das Dunkel fiel hier nicht auf reines Licht: Schon bevor Peters Güte zerstört wurde, stieg dem Jungen von nebenan seine Popularität zu Kopf. Machtgierig, selbstgerecht, eitel: Die Eigenschaften boten der außerirdischen Masse Nährboden für die Attacke. Raimi und Maguire genießen sichtlich die charakterliche Flexibilisierung des Protagonisten: Mit in die Stirn frisierter Strähne darf er in einer launigen Montage Frauen anmachen, Typen vermöbeln und Sprüche klopfen. Als Gegengewicht taugt die Schurken-Triangel: Zum Sandmann und dem „Neuen Kobold“ kommt Venom. Karrierist Eddie Brock (lässig: Topher Grace) hat Peter den Fotografen-Job bei der Zeitung „The Daily Bugle“ abgejagt, durch die intelligente schwarze Masse wird er zum alptraumhaften Monster mit Rasiermesserzähnen im weit aufgerissenen Maul: Der Spinnenmann trifft auf seinen härtesten Konkurrenten.

Letzter Film mit dem Original-Team?

Spider-Man 3 wirkt trotz dieser Vielzahl an Nebenhandlungen nicht überfrachtet oder gehetzt. Raimi amüsiert sich beim Hantieren der Erwartungen, dem Jonglieren mit vertrauten Charakteren, nicht zuletzt der Unterhaltung des Zusehers mit perfekten Effekt-Sequenzen – inklusive Schwindel erregender Kamerastürze wie in den Vorgängerfilmen. Raimi avisiert ein Massenpublikum, verbeugt sich zugleich vor seiner Fan-Basis: Kult-Ikone und Tanz der Teufel-Star Bruce Campbell hat einmal mehr einen grandiosen Gastauftritt. Ob die Filmreihe weitergeht, ist noch unsicher: Sowohl Maguire als auch Raimi erwägen den Ausstieg, dem Regisseur wurde die Verfilmung von Tolkiens „Der Hobbit“ angeboten.

Bis dahin ist jedoch noch Zeit, um sich in diese ewige Geschichte vom Guten und Bösen, vom Helden und Schurken und von allem dazwischen einzufühlen: Lange schon wurde sie nicht mehr so überzeugend erzählt wie in Sam Raimis Spider-Man-Filmen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.04.2007)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.