Die Dänen machen irgendwas richtig

Erwin Steinhauer über "Nach der Hochzeit". Er selbst spielt derzeit im ebenfalls dänischen Drama "Das Fest" (basierend auf dem gleichnamigen Film) in der Josefstadt.

Ich bin einfach nur ein guter Mensch, sagt Jørgen zu seinem Nebenbuhler Jacob, dem er viel Geld und schließlich auch seine Familie überlässt – und man möchte es ihm glauben. Dass der Charakter des Geschäftsmanns natürlich komplexer ist, stellt sich in Susanne Biers Film Nach der Hochzeit rasch heraus. Dass der dänischen Regisseurin mit ihrem neuen Film ein echtes Meisterwerk gelungen ist, auch. Nicht ganz unbeteiligt daran ist der Drehbuchautor Anders Thomas Jensen, als Autor und Regisseur (Adams Äpfel) einer der kreativsten Köpfe des gegenwärtigen dänischen Films.

Durchgängig großartig bis in die kleinste Rolle sind die SchauspielerInnen dieses Films. Allen voran Mads Mikkelsen, seit Casino Royale einem größeren Publikum als James-Bond-Bösewicht bekannt und hier in der Rolle des charakterlich zerrissenen Indien-Aussteigers Jacob nicht minder überzeugend. Mir persönlich besonders angetan hat es die Rolle des charakterlich zerrissenen Familienvaters Jørgen: Er lebt, er liebt, er stirbt, er ist gut und er ist böse, er ist das alles, und das ist gut so. Im Film wunderbar differenziert dargestellt von Rolf Lassgård, vielen als Kommissar Wallander in Henning-Mankell-Verfilmungen ein Begriff.

Gefühlshochschaubahn

Im Kino mache ich mir gelegentlich den Spaß, die SchauspielerInnen auf der Leinwand zu „studieren“; ich beobachte ganz genau, wie die KollegInnen bestimmte Rollen anlegen, und überlege, wie hätte ich's gemacht. Bei Nach der Hochzeit ging das nicht: Die Geschichte ist so berührend, der Erzählstil so intensiv und die Besetzung so grandios, dass ich von der ersten Sekunde an gepackt wurde und mitten drin war im Geschehen. Schluss mit der Beobachterposition, keine Chance für Rollenstudien, adieu Kinositz – willkommen auf der Gefühlshochschaubahn! Kaum hatte ich eine dramatische Szene durchlitten, brachte mich die nächste schon wieder zum Lachen. Selbst am Tag danach war ich noch von den Eindrücken und Bildern gefangen.

Ich brauche keinen rasanten Actionfilm, kein reines Kopfkino, ich will bewegt und ergriffen werden. Genau das erwarte ich mir von gutem europäischem Kino. Und das können FilmemacherInnen wie Lars von Trier, Thomas Vinterberg oder Susanne Bier wie sonst kaum jemand in Europa.

Die Dänen müssen also irgendetwas richtig machen. Was kann das sein? Bessere Ausbildungsmöglichkeiten? Die engagiertere öffentliche Filmförderung? Konsequentere Marketingpräsenz? Das große kreative Potenzial scheint jedenfalls erkannt und gefördert zu werden. Der dänische Film hat mittlerweile im eigenen Land einen hohen Stellenwert – und heimst außerdem seit Jahren internationale Auszeichnungen ein. Das gelingt inzwischen erfreulicherweise auch FilmemacherInnen bei uns, wenn auch, wie Michael Haneke sagt, trotz, nicht wegen der bisherigen österreichischen Filmförderung. 50Prozent aller bei uns gezeigten Kinofilme sind aus dem US-Fundus, nur ganze zwei Prozent homemade. Damit sind wir trotz großen Kreativpotenzials europaweit Schlusslicht. Da hapert's also ordentlich. Im Filmland Frankreich gibt es Steuern auf ausländische Produktionen – das wird jetzt auch für Österreich überlegt. Und es wird unter anderem das dänische Modell geprüft.

An dieser Stelle möchte ich der neuen Kulturministerin Claudia Schmied die herzliche Empfehlung aussprechen, sich Nach der Hochzeit anzuschauen. Inzwischen werden hoffentlich weitere Filme wie dieser erdacht, gefördert, gefilmt – vielleicht sind ja auch mal welche aus Österreich dabei. Vielleicht sogar Stoffe, die sich für das Theater eignen.

Prädestiniert für das Theater

Weil: Auch den Bühnen fehlen gute Geschichten. Und Nach der Hochzeit ist meiner Meinung nach prädestiniert für das Theater, und ich hoffe, dass aus dem hochoriginellen Drehbuch von Jensen lieber früher als später ein Stück entsteht. Ich bin überzeugt davon, die Adaptation von Leinwand auf Bühne würde, so wie auch bei Das Fest von Susanne Biers Landsmann Thomas Vinterberg, ganz ausgezeichnet funktionieren. Natürlich ist die Technik am Theater nicht mit den Möglichkeiten beim Film vergleichbar. Einzelne Handlungsverläufe wird man anders erzählen müssen, Ausflüge nach Indien eher umgehen. Im Gegenzug bietet das Theater die Möglichkeit, die vielschichtige Familiengeschichte rund um die großen Themen Verantwortung, Entscheidung, (Lebens-)Lügen, Geheimnisse stärker ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken. Und auch wenn das vielleicht unbescheiden klingt: Den Jørgen übernähme ich dann wenn möglich gerne selbst.

Nach der Hochzeit wurde übrigens in der Kategorie „Bester ausländischer Film“ 2007 für den Oscar nominiert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.04.2007)

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