"Zodiac": Paranoia im Reich der Zeichen

Stark, kühl: David Finchers in Cannes vorgestelltes Serienmörder-Epos "Zodiac". Ab Freitag im Kino.

Natürlich sei das echt, sagt der Mann. Wie er das wisse? Weil es im Fernsehen läuft!

Nach etwa einem Drittel von David Finchers unkonventionellem Serienkiller-Film Zodiac kommt es zu diesem Schlüsselmoment. Er benennt, wo ein wahrer Schrecken dieses zweieinhalbstündigen Panoramas lauert, das Genre-Konventionen von Spannung und Schock mit gewagtem Gestus und kühler Konsequenz größtenteils ignoriert: im Verlust des Kontakts zur Wirklichkeit.

Finchers Rekonstruktion des nie befriedigend geklärten Falls vom Zodiac-Mörder, der Ende der 1960er in Südkalifornien zu töten begann, ist vor allem ein unheimliches Zeitbild. Und unheimlich als Bilderserie vom unbarmherzigen Verstreichen der Zeit: Je mehr Hinweise auftauchen, desto unüberschaubarer werden die Ermittlungen, immer neue Spuren überlagern die alten, originalen. Seinem Thema nähert sich Fincher mit leidenschaftsloser Logik: Der Zodiac-Mörder wurde auch weniger durch seine Morde (deren Zahl zweifelhaft bleibt) berüchtigt, sondern als selbstbewusstes Massenmedien-Phänomen. In Briefen an Zeitungen und Polizei hinterließ er – oft verschlüsselte – Hinweise: Fährte oder Ablenkung?

Wie der Film eines Serienkillers

Zodiac besticht als mit entsprechender Detailversessenheit entworfenes Porträt einer Ära: Jeder Schauplatz, jedes Dekor- und Kleidungsstück der zweieinhalb durchmessenen Dekaden scheint stimmig, eine unglaublich dichte Tonspur lädt zur völligen Versenkung ein. Noch bestechender ist die düstere Allegorie auf die Informationsgesellschaft: Das Reich der Zeichen wächst ständig, wird dabei immer unverständlicher – außer man überlässt sich seinem Wuchern, dann droht der Wahn, das trifft alle Hauptfiguren (Robert Downey Jr., Mark Ruffalo, Jake Gyllenhaal). Man hat Zodiac wegen der unkonventionellen Struktur vorgeworfen, ein Anti-Thriller zu sein: Das stimmt, ignoriert aber das Prinzip der gerade in Hollywood gewagten Konstruktion: Die methodische Anhäufung von Details – wie in Tony Scotts Filmen sind Ort und Zeit stets markiert – mündet in Paranoia, Eskalation. In der Form scheint Zodiac oft weniger ein Film über einen Serienmörder als der Film eines Serienmörders: Auch das gruslig.

Finchers Film hat darin eine virtuose Klarheit, die Virtuosität ist aber auch Achillesferse. Die Brillanz überlagert öfters das Sujet, den Schmerz übers Vergehen – in dieser Hinsicht ist Zodiac ein zuvor fast undenkbares Paradox: Ein Ozu-Serienmörderfilm, eine große, fast größenwahnsinnige Gewaltstudie, die dem minimalistischen japanischen Meisterregisseur des Kleinsten verwandt ist. Die Auflösung mag ein wenig Hollywood-Konzession in sich tragen, es schmälert Finchers Wagnis kaum. hub

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.05.2007)

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