"Irina Palm": Wichsen gegen den Tod des Enkels

Marianne Faithfull als resolute Witwe Maggie.
Marianne Faithfull als resolute Witwe Maggie.(c) filmladen
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"Irina Palm" mit Marianne Faithfull als Sexarbeiterin: Fades Rührstück mit liberalem Mascherl.

In Yardley Hastings wiegen sich die blätterlosen Bäume im Wind, Häuser schieben sich beinahe trotzig vor den grauen, verregneten Hintergrund. Das verschlafene Dorf im britischen Bezirk Northhamptonshire ist Schauplatz der moralistischen Tragikomödie „Irina Palm“. Darin bangt die resolute Witwe Maggie (ebenso resolut: Marianne Faithfull) um das Leben des todkranken Enkels. Eine Therapie in Australien könnte ihn retten, doch das Geld fehlt. Als Maggie sich in London auf eine Anzeige hin als Hostess bewirbt, weiß sie noch nicht, welche Art von Tätigkeit da von ihr erwartet wird.

Proletarisches Kino, erzkonservativ

Vordergründig britischen Sozialrealismus liefert der in Deutschland geborene Regisseur Sam Garbarski, nach dutzendfach erprobter Rezeptur, injiziert dem proletarischen Kino jedoch eine Dosis Konservativismus. Die Zeichnung des Rotlichtbezirks – Hostess meint hier eine professionelle Masturbationshilfe – korrespondiert damit: Maggie steigt in eine zwielichtige Zwischenwelt hinab, deren barbusige Tänzerinnen in die Handlung ebenso uneingebunden sind wie ihre männlichen Besucher. Im Barbesitzer Miki (Miki Manojlovic) findet sie einen ersten Bewunderer ihrer zarten Hände, später werden es ihm Dutzende Kunden gleich tun, die sich von der „wichsenden Witwe“ mit dem eingängigen Künstlernamen Irina Palm befriedigen lassen.

Marianne Faithfull, lebenskluge Frau mit gewaltiger Stimme, füllt diese Figur mit Stoik, angenehmer Würde und matronenhafter Bestimmtheit aus. Ihr Brecht'sches Schauspiel, das keine Allianz oder Identifikation mit Maggie unterstützt, bereichert „Irina Palm“. Die anderen Figuren entwickeln sich weniger nuanciert: Maggies Sohn Tom (mäßig: Kevin Bishop) zuckt aus, als er von der Beschäftigung seiner Mutter hört, will ihr das verdiente Geld zurück- und damit das Leben seines Sohnes aufgeben. Dessen Frau Sarah (Siobhán Hewlett) vermittelt und anerkennt die Güte ihrer Schwiegermutter.

Garbarskis Film scheitert weder an der primitiven Geschichte noch an simplen Figuren, sondern an seiner Unglaubwürdigkeit. Der kraftlose Sarkasmus, mit dem er die heuchlerischen Vorstadtfrauen vorführt, die Sterilität und Anonymität des Sexklubs verhindern eine Einbettung der Charaktere in eine aussagekräftige Umwelt. „Irina Palm“ ist ein so fades wie erzkonservatives Rührstück, präsentiert mit einem liberalen Mascherl. mak

SÄNGERIN ALS AKTRICE

Marianne Faithfull ist als Sängerin seit 1964 weltbekannt („As Tears Go By“). Ab 1967 war sie in Kinofilmen zu sehen, etwa 1968 in Jack Cardiffs Psychedelik-Erotikfilm „Nackt unter Leder“, 1969 als Ophelia in Tony Richardsons „Hamlet“ und 1972 in Kenneth Angers okkultem Avantgarde-Klassiker „Lucifer Rising“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.06.2007)

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