Neu im Kino: Zwischen Knast und Kunst-Uni

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Stark: "Wholetrain" zeigt Berlins Sprayer-Szene authentisch. Ab Freitag.

Junge Männer greifen im Baumarkt zu Aerosol-Farben: In Florian Gaags treibendem Langfilmdebüt Wholetrainumarmt das Heimelige das Kriminalisierte in so starken wie einfachen Bildern.

Die mediale Diskussion zur (Il-)Legalität von Graffiti ist schon vor Jahren verebbt, die Werke der Straßen-Künstler werden mittlerweile systematisch von Häuserwänden und Transportmitteln gewaschen.

Umso mehr überrascht Gaags Film den Zuschauer in seinem Selbstbewusstsein und seiner Artikuliertheit: Gleich zum Beginn sieht man Jungs beim „writen“ auf einer Wand, die Hiphop-Musik kommt – man steht zu seinen Wurzeln – von der Kassette. Der Ton macht hier das Bild indem er es strukturiert und mit Atmosphäre versieht.

Rivalisierende Graffiti-Guerrilleros

Wholetrain spielt in Berlin und erzählt, bisweilen in etwas zu straßenschickem Duktus und in einem garantiert unverständlichen Idiom, von zwei rivalisierenden „Crews“. Die Protagonisten gehören zu KSB („Keep Steel Burning“) und malen gegen die Konkurrenten von ATL („Above The Law“). Deren Name rührt nicht nur von einer Guerrillero-Attitüde her, er markiert gleichzeitig die Exekutivbeamten und ihre Sondereinheiten als die eigentliche Antagonisten.

Florian Gaag ist ein gebürtiger Deutscher, der während seiner Jugendzeit in München selbst ein Graffiti-„Writer“ war und seither eng mit der Szene verknüpft ist. In New York City, der Wiege der Hiphop-Kultur, aus der auch Graffiti hervor gegangen ist, hat er Film studiert und nach seiner Rückkehr jahrelang nach Finanzierungsmöglichkeiten für seinen Debütfilm gesucht.

Das Ergebnis ist beeindruckend: Zu oft kranken gut gemeinte Jugendkulturfilme an Kraftlosigkeit, weil sie meinen, ihre Inhalte auch einem „breiten“ Publikum verständlich machen zu müssen, wodurch aber das energetische Zentrum verloren geht. Gaag bindet den Graffito (Bild) an den Hiphop (Ton) zurück und unterfüttert die Figuren in seiner Erzählung mit Lebensrealität und einem gesunden Maß an Authentizität.

In der Gruppe von David (Mike Adler), Tino (Florian Renner), Elyas (Elyas M'Barek) und Achim (Jacob Matschenz) entproblematisiert sich nicht nur der – medial aufgeheizte – Brennpunkt auf „Jugendliche mit Migrationshintergrund“, es drücken sich auch viele Schwierigkeiten dieser Generation in ihren Lebenswelten aus.

David läuft Gefahr, sich durch die zunehmende Kriminalisierung von Graffiti Zukunftsperspektiven zu verbauen, während Tino als junger Vater die Sprühdose zuweilen zum Windelwechseln aus der Hand legen muss, Achim wiederum versucht seine gutbürgerliche Herkunft abzustreifen und zu bekämpfen.

Bemerkenswert geglückter Szenefilm

Wholetrain ist durch seinen halbdokumentarischen Hintergrund auch Zeugnis eines Phänomens zwischen Marginalisierung und Akademisierung, zwischen Knast und Kunst-Uni. Dieser Grundkonflikt hat sich seit Jahrzehnten nicht geändert: 1983 echauffierte sich New Yorks damaliger Bürgermeister Koch in der Dokumentation Style Wars über das Thema, ungefähr zur selben Zeit sorgten Keith Haring und Basquiat für eine Inklusion der Sprüh-Kunst in wichtigen Ausstellungen.

Florian Gaags bemerkenswertes Debüt ist aber nicht ohne Kinderkrankheiten: Sowohl das unglaubwürdig „runde“ Ende wie auch eine betont humorige Nebenfigur sollen die ansonsten ungefilterten Emotionen an ein potenziell „breites“ Publikum vermitteln.Dennoch istWholetrain der seltene Fall eines geglückten Szenefilms: Stark im Ausdruck, stark im Eindruck und auch eine Sinfonie der Individualität, Vielgestaltigkeit und Farbe im Lebensraum Großstadt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.07.2007)

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