Wo Milch und Honig fließen (sollen)

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Neu im Kino. Bildschön, didaktisch: Das Einwanderer-Epos "Golden Door". Ab Freitag.

Steine im Mund, Schnecken unterm Hut: Die sizilianische Familie zeigt sich in Emanuele Crialeses Erfolgsfilm Golden Door befruchtet von der rauen Natürlichkeit des italienischen Südens. Im Vogelflug gleitet die Kamera über außerirdisch wirkende Geröllfelder: Der Regisseur beweist seine Qualitäten als Ästhet. In seinem Film geht es um Heimat und Zugehörigkeit, um notwendige Veränderungen und veränderte Notwendigkeiten. Anfang des 20. Jahrhunderts träumt es sich unter der verarmten Landbevölkerung leicht von jener Neuen Welt, wo Zwiebeln zu Fußballgröße heranreifen, wo Geld auf Bäumen wächst. Ergo der Originaltitel: Nuovomondo.

Auch Salvatore Mancuso (gut: Vincenzo Amato) will der materiellen Kargheit entkommen und bereitet seine Familie – zwei Söhne und seine starrköpfigen Mutter Fortunata – auf die lange Reise in die USA vor. Abreise und Wanderschaft: Im ersten Drittel lässt Crialese Traum und Realität ineinander rinnen. Zuweilen gelingt ihm, die aufgeladene Erzählung von übergroßer Bedeutsamkeit frei zu sprengen, erhoffte surreale Momente stellen sich aber nicht ein. Es liegt ihm zu viel an der Botschaft, als dass er den Bildern Schwerelosigkeit zumuten könnte.

Am Abfahrtshafen macht Salvatore eine schicksalhafte Bekanntschaft: Britin Lucy Reed (beherrscht: Charlotte Gainsbourg) kämpft für ihre Freiheit und gegen Männerhände. Von der Neuen Welt erhofft sie sich Reichtum und Gelassenheit. Im Bauch des Schiffes trennen sich die Geschlechter: Spärliche Ausleuchtung, unruhige Kamerabewegungen unterstützen die Enge und unangenehme Körperlichkeit des Orts. Der Moment des Ablegens ist meisterlich: Keine wehenden Taschentücher, keine Musik, lediglich Maschinenrattern von diesem Koloss, der in Stille gen Nebelwand und Unbestimmtheit schwimmt, den Zuschauer mit dem Gefühl der Unheimlichkeit zurücklässt.

Geprüft auf Eignung für die Neue Welt

Golden Door hat eine strenge Struktur: Das erste Drittel spielt in der Alten Welt, das zweite Drittel im ozeanischen Niemandsland, das letzte Drittel in der Auffangzone der Neuen Welt. Wie in Crialeses vorigen Film Respiro (hierzulande als Lampedusaverliehen) fallen innerliche und äußerliche Landschaften zusammen: Anders als etwa in Bertoluccis maßgebenden Historienfilm 1900, wo kräftige Figuren historisch korrekt inszeniert wurden, liebäugelt Crialese bloß mit allfälligen Artefakten und setzt ansonsten auf unbestimmten bis neutralen Hintergrund wie Nebel, Hügel oder Gebäude. Bis zur Ankunft an der „Goldenen Tür“ von Ellis Island ist sein Film gemütliches Designerkino mit zufälligen Wundern, danach eher gruselige Polit-Parabel, die so bescheiden wie verzweifelt nach der Jetztzeit greift.

Beeindruckend, wie gut recherchiert und penibel inszeniert jene Sequenzen erscheinen, in denen die Neuankömmlinge aus der Alten Welt auf ihre Kompatibilität mit der Neuen geprüft werden. Während Salvatore und die Söhne Schwierigkeiten mit Logiktests haben, fühlt sich Oma Fortunata von medizinischen Untersuchungen im Schamgefühl verletzt. Im improvisierten Standesamt vermittelt ein Bürokrat junge Italienerinnen an gierige US-Amerikaner: Auch Salvatore und Lucy finden hier zusammen.

Crialese stellt die Prüfverfahren als Visitenkarte eines Maschinenstaats dar, der sich um die Gefühlswelt der Emigranten einen Dreck schert, findet so Verbindung zu stets aktuellen Diskussionen um Menschenrechte und Grenzziehungen. Wo der Film durch plumpe Didaktik inhaltlich abfällt, beginnt er in seiner Strukturiertheit zu imponieren: Die offenen, weitläufigen Landschaften des Anfangs werden durch präzise, geometrische Architektur abgelöst, die naturmächtige Lebensart der Sizilianer von einer zielbewussten Effizienz herausgefordert. Crialese lässt den Film, den in den USA übrigens Martin Scorsese bewirbt, mit einem gewaltigen Bild ausklingen. Aus dem Weiß der Leinwand tauchen nach und nach dunkle Gestalten auf: Hoffnungssuchende im Land, in dem Milch und Honig fließen sollen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.07.2007)

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