Ach, als die Kollisionen noch echt waren . . .

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Neu im Kino. Quentin Tarantinos teurer Billig-Action-Tribut "Death Proof": ein großer Frauenfilm. Ab Donnerstag.

Etwas mehr als die Hälfte eines in den USA gefloppten Filmnarren-Projekts sorgt hier für einen einsamen Kino-Höhepunkt des Sommers: Quentin Tarantinos Death Proof war ursprünglich Teil eines Meta-Spektakels namens Grindhouse. Tarantino und Kumpel Robert Rodriguez machten wohl ihren Regiestar-Bonus bei ihrem umstrittenen Stammproduzenten Harvey Weinstein geltend, um diesen relativ teuren Tribut an die von ihnen geliebten billigen Trashfilme der 1970er zu finanzieren.

Und bloße Filmverehrung war nicht genug! Eine verloren gegangene Kino-Erfahrung sollte Grindhouse wieder beleben, daher der Titel: Grindhouses hießen schäbige Kinos, die B-Filme aller Genres – Horror, Kung-Fu, Sex, Autoraser-Action usw. – zeigten. Grind prägte zwar deren Erscheinungsbild, aber die Bezeichnung kam von anzüglichen Tanzeinlagen („bump and grind“) zur angelegentlichen Belebung des Filmbetriebs. Nebenbei passte der Begriff perfekt zum Zustand von Filmkopien, die am Weg quer durchs Land in Grindhouses abgenudelt wurden („grind down“): Man spielte oft Nonstop, aber mindestens im Doppelpack.

So ein double feature hatten Tarantino und Rodriguez als Drei-Stunden-Extravaganz nachgebildet, samt Parodie-Trailer für fiktive Horrorfilme (von befreundeten Kollegen wie Rob Zombie oder Eli Roth) und digital nachgemachten Abnutzungserscheinungen: Kratzer, Hüpfer (auch im Ton), sogar Sprünge in der Handlung wegen „fehlender Filmrollen“. Solche künstlichen Fehler zur Simulation gealterter Filme kehren andernorts mit lähmender Regelmäßigkeit am selben Fleck wieder – in Grindhouse war ihre Vielfalt täuschend echt, sie wichen zwischendurch sogar dem (erinnerten) Wunder eines unerwartet makellosen Stücks Film: Die Liebhaberei zeigte sich im Detail. Der amerikanischen Multiplex-Laufkundschaft ließ sich diese eindeutig nicht vermitteln: Viele Besucher verließen gar nach dem ersten Film des Doppelpacks das Kino im Glauben, die Show sei vorbei, das Einspielergebnis war allgemein eine Enttäuschung.

Film-Start in Europa mit neuem Konzept

Für Europa wurde also das Konzept geändert: Die zwei Filme wurden getrennt, starten dafür in verlängerten Versionen. Rodriguez' trashiger Zombie-Horror Planet Terrorfolgt am 23. August, Tarantinos Death Proofsteht einstweilen (mit 112 statt 87 Minuten) sehr gut alleine da: Als einer der wenigen herausragenden Cannes-Wettbewerbsfilme hatte er Europa-Premiere, samt dem Anlass gemäß einkopiertem französischen Titel – Boulevard de la mort (un film Grindhouse).

Das mag Angst vor postmoderner Ironie wecken, gerade nach dem technisch virtuosen wie erschöpfend größenwahnsinnigen zweiteiligen Genre-Ungetüm Kill Bill, mit dem Tarantino viel Hipster-Kredit verspielte. Da ließ er sich bis Vol.2 Zeit, um das Thema zum prächtig choreografierten Lieblingsfilm-Mixtape nach zu reichen – Mutterschaft. Death Proof ist auch ein (extravaganter) „Frauenfilm“, aber verblüffend kompakt, strukturell wie thematisch. Seine zwei Hälften sind eine (post)feministische Versuchsanordnung zu Macho-Actionfilmen, in der nicht nur die Geschlechterpolitik radikal umgekrempelt wird: Zweimal schwelgen Frauengruppen in typischen Tarantino-Dialogen, bevor es zur tödlichen Auto-Konfrontation mit „Stuntman Mike“ (Kurt Russell) kommt. Es geht von Gerede zu Action, von der Nacht in den Tag, von drinnen nach draußen und (in Anlehnung an kontroverse Rape-Revenge-B-Filme um rachemordende Vergewaltigungsopfer) von rape zu revenge.

Die sexuelle Metaphorik ist drastisch wie überdeutlich, kulminiert in einer grandios synkopierten symbolischen Kastration. Aber an Death Proof gefällt gerade der heimelige Tonfall, den Tarantino hauptsächlich anschlägt (falls seine Film-Huldigungen an Action-Heldinnen Ersatzhandlungen sind, dann nicht für eine fehlende Freundin, sondern für eine große Schwester: Sexualität an sich ist bei ihm selten bedeutsam).

Der Großteil der ersten Hälfte ist ein bekiffter Mädels-Abend in der Bar, so mühelos geschrieben, inszeniert und gefilmt (erstmals fungiert Tarantino auch als – kompetenter – Kameramann), dass er ewig dauern könnte. Aber wie ein Reptil lauert Russell schon an den Rändern: Eine Einstellung ist mit charakteristischem Witz so komponiert, dass Mikes gierig schlingender Mund im Vordergrund ablenkt. Figur wie Akteur werden als (dunkles) Urgestein des Action-Kinos überhöht: Ein Geschenk für Russell, der mit einem souverän erbärmlichen, ja wahrlich himmelschreienden Abgang dankt.

Stuntfrau: Atemberaubende Akrobatik

Doch im Herzen ist Death Proof ein großer weiblicher Ensemblefilm: Allein wie sich die Australierin Zoë Bell, Stuntdouble von Uma Thurman in Kill Bill, hier „selbst“ spielt, mit Mumm und Witz, steht Russell nicht nach. Ihre atemberaubende Akrobatik bei der epischen Verfolgungsjagd der zweiten Hälfte ist Höhepunkt einer Hymne an analoges (Action-)Kino, nebenbei Demonstration der perfekter Detailkonstruktion Tarantinos: Im ersten Teil hing der Stuntman noch Erinnerungen an die echten Zusammenstöße vor der digitalen Zeit nach. Ach, ohne CGI, ohne Computergrafik, das könne sie sich wohl gar nicht mehr vorstellen, sagt er zu einer der Frauen – und dann zeigt es ihm eine andere.

Nur einen Exzess erlaubt sich Tarantino: den Überschuss popkultursatter Dialoge der Fangirls. Bei genauer Betrachtung kein Manierismus, sondern Konsequenz: Denn als Vertreterinnen weiblicher Fankultur haben seine Heldinnen das gleiche Recht, begeistert zu schwafeln, wie es endlose Paraden männlicher Kino-Nerds schon lang tun. Und Tarantino schreibt besseres, cooleres Geschwafel als alle anderen, konzeptionell ist sein vergnügliches Action-Experiment obendrein radikal: Weil er den Mädchen die Tür zum Klubraum des Bubenkinos öffnet.

REGIE-SUPERSTAR

Quentin Tarantino, *1963 in Knoxville, Tennessee, wurde vom Videothekar zum Regisseur, mit „Reservoir Dogs“ (1992) und vor allem dem Cannes-Sieger „Pulp Fiction“ (1995) wurde er zum Regie-Superstar, sein mit vielfältigem Film-Wissen arbeitender Stil weltweit prägend. Fürs Kino inszenierte er noch „Jackie Brown“ (1997), den Zweiteiler „Kill Bill“ (2003/04), „Death Proof“ (2007).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.07.2007)

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