"Angel": In der tiefsten Schublade des Taschentuchkinos

(c) filmladen
  • Drucken

François Ozons zermürbendes Groschen-Romantikepos "Angel" vergeigt Ironie und Kitsch. Ab Freitag.

Beschwingte Musik begleitet die Heldin auf dem Weg ins Paradies: Paradise, so heißt das herrschaftliche Haus, das die Teenager-Träume der Titelheldin befeuert. Angel (große Augen, noch größere Gesten: Romola Garai) verblüfft in der Schule mit einem Aufsatz über ihr Leben in der Villa – ein unerhörtes Übertreten der Klassenschranken Ende des 19.Jahrhunderts, überhaupt viel zu viel blühende Fantasie. Doch Zurechtweisungen fördern nur Angels grenzenlose Realitätsverweigerung: Die Tochter einer bescheidenen Krämerin sieht sich schon als erfolgreiche Schriftstellerin. Und, voilà! Bald verblüfft sie mit ihrer Gefühlskrämerei das Frauenromanpublikum ganz Englands.

Angels Pros, das stellt Regisseur François Ozon sogleich klar, ist natürlich schwülstige Groschenromantik ohne jedes Niveau. Die detailreichen Kitschekstasen seiner Inszenierung ergehen sich in entsprechender Schwelgerei, erweisen dabei dem klassischen Frauenmelodram Hollywoods die eher zweifelhafte Ehre ausgestellt ironischer Verbeugungen. Sein Dekor überzieht Ozon mit einem Schwall farbenprächtigen Zuckergusses, der einem die Augen verklebt, Kutschenfahrten durch nächtliche Landschaften oder London verziert er unweigerlich mit ausgesucht übertriebenen Rückprojektionen. Das Spiel mit der Künstlichkeit – insbesondere im busenbebenden, augenwinkeltränenden, lauten wie vorlauten Spiel der jungen Hauptdarstellerin – ist ihm gar feiner Selbstzweck zur Konfektion belanglosen wie wohlfrisierten Amüsements.

Soweit die gut ersten 37 von 137 Minuten – denn eine Groschenromanze ist nicht genug! Es graut schon der farblose Malergesell (Michael Fassbender), an den Angel (natürlich vergebens, ach!) ihr Herz verschenken wird. Parallel dazu weckt sie nur allzu offensichtlich mehr als monetäres Interesse seitens ihres Verlegers (Sam Neill). Seiner Frau (Charlotte Rampling) bleibt das nicht verborgen: Das kann niemanden überraschen, wird aber dennoch wie eine überraschende Einsicht inszeniert – schließlich ist das Leben hier ein Kitschroman. So weicht auch der Verlegergattin anfängliche Angel-Skepsis schließlich nachgerade Bewunderung für deren gleichbleibende Starrköpfigkeit, während Schicksalsschläge – Krieg! Misserfolg! Zurückweisung! – auf sie einprasseln.

Nur Unglück im Paradies

Die Ironie erkaltet zunehmend, während Ozons unerschöpfliche, für den Zuseher aber zunehmend erschöpfende Angel-Bewunderung sich in der tiefsten plüschgepolsterten Schublade des Taschentuchkinos einnistet. Es zeigt sich: Er will keinen Kommentar zum Genre, keinen Bruch, ja nicht einmal ein wirklich hemmungsloses Ausleben des Kitsches, nur mürbe machendes Mittelmaß. Denn Angel kommt zwar wörtlich im Paradies ihrer Träume an, kann sich dort aber nur mehr im Unglück suhlen, als wär es einer ihrer pathetischen Frauenromane, der Ironie des Konzepts gebricht es aber an jeglicher Kraft: Wenn das Leben nur schale Künstlichkeit ist, was heißt es da schon, dass es nur schlechte Kunst imitiert?

Ozons Film basiert übrigens auf dem gleichnamigen Roman einer Britin, die in einem eigentlich hübschen Zufall heißt wie eine berühmte Kino-Schauspielerin: Elizabeth Taylor. Aber Ozons Schau-Spiel bleibt ruhmlos: Er hat freimütig bekannt, die eigentlich als Satire auf Frauenromane konzipierte Vorlage entschärft zu haben, weil das seinem Publikum zu viel zumuten würde. Was also in seiner Leinwandversion übrig bleibt, ist nicht einmal mehr ein Witz.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.08.2007)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.