Verhoeven: "Für den Film erschießen sie dich"

Paul Verhoeven ist eigentlich ausgebildeter Mathematiker und Physiker.
Paul Verhoeven ist eigentlich ausgebildeter Mathematiker und Physiker.(c) EPA (Jaume Sellart)
  • Drucken

Regisseur Paul Verhoeven über seinen neuen Nazi-Thriller "Black Book", sein unkonventionelles Jesus-Buch und den Neofaschismus der US-Politik.

Die Presse: Wie Sie in „Black Book“ die Befreiung der Niederlande von den Nazis zeigen, ist kein sehr schöner Anblick. Aber es entspricht ihrem frühen Dokumentarfilm „Portret van Anton Adriaan Mussert“ über den Führer der holländischen Faschistenpartei bis 1945.

Paul Verhoeven: Dafür sichtete ich damals Stunden von US-Filmdokumenten der Befreiung, sie hinterließen tiefen Eindruck. Die Atmosphäre dieses Materials rekonstruierte ich für Black Book möglichst detailgetreu – bis hin zu den Farben der Gewänder.

„Black Book“ basiert auf Dekaden von Recherche, Ihr erstes Weltkriegsepos „Soldier of Orange“ zeichnete 1976 ein milderes Bild...

Verhoeven: Nach Erinnerungen eines Kriegshelden! Wie in Black Book ist fast alles darin wahr, ich wollte nichts weißwaschen. Dieser echt wagemutige Kerl hatte seine Abenteuer überlebt, um sie zu erzählen! Das ist die andere Seite der Medaille. Schon damals stießen wir auf viele entscheidende Elemente von Black Book, wie den Anwalt mit dem Schwarzbuch über Kollaborateure, es passte nur noch nicht ins offizielle Geschichtsbild.

Und die Reaktion heute? „Black Book“ schildert ja auch Antisemitismus im Widerstand.

Verhoeven: Problemlos! Wenn ich da an die Mussert-Dokumentation denke, wo ich für ein umfassendes Bild erstmals holländische Waffen-SS-Mitglieder interviewte: 1965 unvorstellbar! Erst eine neue Staats-TV-Führung zeigte den Film 1968, davor gab es politischen Druck: Holland sei nicht bereit. Aber Black Bookwird in Holland geliebt!

Wohl der größte Zuspruch daheim für einen Ihrer Filme seit „Türkische Früchte“ 1973!

Verhoeven: Ja! Seither ist vieles ins nationale Bewusstsein eingesunken, Bücher zu Kollaboration, Verrat sind erschienen. Die Heldin von Black Book basiert auf drei Personen, eine hieß Ans van Dijk, eine Jüdin im Widerstand, von den Deutschen festgenommen, vor die Wahl gestellt: Polen – also: sicherer Tod – oder in deutsche Dienste treten. Sie und andere Jüdinnen verrieten dann versteckte Juden an die Deutschen. In Extremsituationen betrügt man auch sein Volk.

„Black Book“ ist voller absurder moralischer Zwickmühlen. Sind Sie heimgekehrt, weil Hollywood diese Widersprüche nicht mag?

Verhoeven: Genau. Je mehr die US-Regierung lügt und betrügt, desto weniger ist die Filmindustrie bereit, sich dem zu stellen. 9/11 verschlimmerte alles noch. Die Erfolgsfilme seither spielen nur in Fantasiewelten: Harry Potter, Herr der Ringe, Spider-Man. 2001/02 wurden alle meine Projekte abgelehnt, weil es um echte Entscheidungen und menschliche Ambivalenzen ging. Also ging ich heim.

Und Ihr Jesusfilm-Traumprojekt? Sie haben über Jahre hinweg das Jesus-Seminar besucht.

Verhoeven: Sogar mein Kontroversen gewöhnter holländischer Drehbuchautor Gerard Soeteman – als ich ihm mein Projekt zu den letzten zwei Jahren von Jesus erklärte, sagte er: „Paul, wenn du den Film machst, noch dazu in den USA, erschießen sie dich! Dreh in Europa. Besser: Mach ein Buch daraus!“ Das tat ich. Es kommt zu Jahresende.

Wie werden Sie Jesus darin interpretieren?

Verhoeven: Natürlich sehr politisch, und sehr menschlich. Ich betrachte ihn nicht als göttliche Figur, eher als religiösen Che Guevara, oder noch schlimmer! Für bestimmte Kreise sicher provokativ. Aber alles basiert auf genauem Studium der Evangelien im griechischen Original. Ich räume mit vielen Dingen auf, die über die Jahrhunderte hinweg als selbstverständlich galten. Ich hoffe, das überrascht auch Menschen, die nicht meiner Meinung sind. Im Prinzip eliminiere ich alles, was in unserem Universum unmöglich ist, und setze dann den Rest sinnvoll zusammen. Da ist vieles anders, als Leute glauben.

Viele Leute glauben, Sie seien ein Provokateur.

Verhoeven: Provokation um ihrer selbst willen interessiert mich überhaupt nicht, ich verweigere nur Selbstzensur. Als Künstler habe ich das Recht zu zeigen, was ich denke, auch wenn es nicht politisch korrekt ist.

Etwa, wie Ihre Heldin die Schamhaare färbt.

Verhoeven: Das ist doch sehr befreiend, so eine Szene im Kopf zu haben und sie dann umzusetzen. Da geht es nicht um Provokation, sondern um Pläsier: am Erfinden!

Ihre Offenheit ist aber kontrovers, etwa Ihr Umgang mit Faschismus, von den Historienfilmen zur Sci-Fi-Satire „Starship Troopers“.

Verhoeven: Weil Faschismus im Menschen steckt! Jeder kann auf faschistische Ressourcen in sich zurückgreifen, nicht jeder tut es, aber doch: die aktuelle US-Politik etwa...

...in „Black Book“ sagen ja die Nazis: „Wir verhandeln nicht mit Terroristen“...

Verhoeven: Genau! Neokonservativ ist bloß ein Euphemismus für neofaschistisch. Für die Idee, dass Gewalt die Welt regiert, und das Recht der USA, ihre Interessen wo und wann auch immer wahrzunehmen. Im Klartext: Das Öl ist im Irak, da liegen US-Interessen, also gehört es uns. Purer Faschismus! Es grassiert wieder weltweit. Natürlich: Im historischen Kontext – aber Faschismus ist nichts spezifisch Deutsches oder Italienisches. Etwa Holland gleich nach dem Weltkrieg, die Reaktion des Militärs auf Indonesiens Unabhängigkeit: faschistisch! Es steckt in allen; in manchen Gruppen, wie der Entourage von Hitler oder der von Mr.Cheney und Bush, entfaltet es sich maximal.

Die Kibbuz-Rahmenhandlung des Films endet mit der Suezkrise: Der Kampf geht weiter.

Verhoeven: Für eine Jüdin jedenfalls! Die Szene zeigt natürlich auch ihre Perspektive auf Holland: Dass sie nach Israel geht, sagt eigentlich alles. Für sie hört der Kampf nie auf, das wäre für eine Palästinenserin übrigens nicht anders: Es gibt kein Ende, jedenfalls in absehbarer Zeit. Das ist unsere Aussage.

KONTROVERSER FILMEMACHER

Paul Verhoeven (*1938, Amsterdam), als Mathematiker und Physiker ausgebildet. In Holland wie Hollywood umstrittene Erfolgsfilme, etwa „Türkische Früchte“ (1973), „RoboCop“ (1987), „Basic Instinct“ (1992).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.08.2007)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.