Disney: Das Märchenschloss als Werbetafel

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Eindimensional: Disneys Weihnachtshit „Verwünscht“. Ab Donnerstag.

Dornröschen steht in mehrfacher Hinsicht im Zentrum des Familienunterhaltungsimperiums Walt Disney: Der dazugehörige Trickfilm aus dem Jahr 1959 gilt nach wie vor als Markstein in der kreativen wie kommerziellen Entwicklung des Unternehmens. Das Märchenschloss dieses Films ist in seiner Quietschbuntheit zuerst zum Zentralpunkt der „begehbaren“ Fantasie Disneyland, später zum einprägsamen Logo geworden.

Wenn Kevin Limas Verwünscht zu Beginn den Sturzflug in ebendieses Firmenzeichen antritt und durch ein Turmfenster in einer Bilderbuchanimation landet, ist darin bereits ein Teil der Erfolgsformel ausgedrückt: Disney stellt nicht nur her, vielmehr ist das Unternehmen zum Produkt geworden. Die tumultösen Jahre des erfolglos versuchten Kurswechsels weg von „klassischer“ 2-D-Animation (Disneys Abteilung wurde aufgelöst) zum Computerfilm bietet Verwünscht als Rücksturz in die Vergangenheit an.

Wie in der ersten Hochblüte des Studios von den 1940ern in die 60er, als Talente wie Clyde Geronimi oder Wolfgang Reitherman populäre Märchenstoffe umsetzten und so den Nährboden für Disneyana bestellten, öffnet sich im neuen US-Kassenhit zuerst ein Buch: Im Original führt die Stimme von „Mary Poppins“ Julie Andrews in ein Stück eigenschaftsloser Animationskunst, das in Verwünscht gleichzeitig verehrt und verhöhnt wird. Rehlein und Häschen sind mit großen Glupschaugen in ihrer Niedlichkeit ebenso überzeichnet wie die Zuckersüße von Giselle (Amy Adams) und der tölpelhafte Heldenmut des Prinzen Edward (James Marsden) beim Kampf gegen einen Troll.

Edwards böse Stiefmutter, die Königin über Andalasia (Susan Sarandon), goutiert sein bald aufkeimendes Interesse am armen Mäderl nicht und befördert die Nichtsahnende am Hochzeitsabend mit schwarzer Magie in eine Parallelwelt – die unsrige. Die Idee ist vertraut: Robert Zemeckis schob schon 1991 in Falsches Spiel mit Roger Rabbit animierte und „reale“ Welt höchst erfolgreich ineinander, der Disney-Konzern startete 2001 die TV-Serie „Mickys Clubhaus“, in der sich Charaktere aus diversen Film- und Fernsehproduktionen in kurzen Episoden treffen.

Sobald Giselle aus dem Gully ins New York der Gegenwart kraxelt, setzt Lima auf die Reibungsfunken dieses Weltengemischs: Die liebreizende Jungfrau im gewaltigen Hochzeitskleid schiebt sich in ihren ersten Realitätsminuten gleich an Prostituierten vorbei, hält einen Kleinwüchsigen für einen von Schneewittchens Zwergen und versucht, ins blinkende Märchenschloss – das eine Werbetafel für ein Casino ist – zu gelangen.

Bedeutungslos bis zur Abstraktion

Verwünscht lebt als Film vom Einbruch des Schöngezeichneten in die Realität: Fünf im Stil großer Disney-Musicals inszenierte Musiknummern erreichen in ihrer Bedeutungslosigkeit ähnlich abstrakte Züge wie das Spiel der „Trick“-Figuren. Adams, Marsden, Timothy Spall (als Intrigant) und Sarandon sind als Fleischkopien von Disney-Archetypen im heutigen Manhattan wunderbar eindimensional und resistent gegen jede Ausdifferenzierung. Dass Lima diesen, seinen einzigen Erzählkniff fast zwei Stunden auswalzt und ab der Hälfte in ein fad-konservatives Gesellenstück zur (Un-)Möglichkeit von Liebe einlenkt, ist zwar bedauerlich, aber verständlich: Immerhin hockt Verwünscht im Herzen der Disney-Mythologie.

WEIHNACHTSFILME

Hollywoods Großproduktionen wie „Der goldene Kompass“, „Verwünscht“ oder „Bee Movie“ konkurrieren als Ferienfamilienfilme. Alternativen aus Europa: das Naturmärchen „Der Fuchs und das Mädchen“ oder die Reprise des Klassikers „Der rote Ballon“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.12.2007)

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