Kino-Film "Der Nebel": Das Grauen im Supermarkt

(c) Ralph Nelson/SMPSP
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Horror aus einer besseren Welt: Frank Darabonts Stephen-King-Verfilmung "Der Nebel". Der Volksschocker Stephen King ist immer dann am besten, wenn er knapp, pointiert und lakonisch ist.

In seiner weniger bekannten Novelle „The Mist“ (1980) bricht das übernatürliche Unheil ohne viel Umschweife in das kleinstädtische Soziotop ein, das die meisten Werke – und Charaktere – Kings prägt.

Der Nebel, die Verfilmung durch Frank Darabont, macht aus dieser Ausgangssituation eine Art Schlüsseltext zum besseren Verständnis des (neben Richard Matheson) meistverfilmten Horror-Autors der Gegenwart.

Keiner verlässt den Raum!

Ankerfigur ist der Filmplakatmaler (!) David (Thomas Jane), der mit Frau und Kind ein Haus am See in Bridgton, Maine (Kings Geburtsstaat und Schauplatz aller seiner Geschichten), bewohnt, das über Nacht von einem Unwetter beschädigt wird. In einer der ersten Szenen ist Davids noch intakter Arbeitsraum zu sehen, darin u.a. ein handgemaltes Plakat von John Carpenters Das Ding aus einer anderen Welt.

Dieses Science-Fiction-Remake von 1982 handelt von einem Forscherteam in der Antarktis, das, abgeschnitten von der Außenwelt, von einem außerirdischen Monster dezimiert wird. Binnen weniger Filmminuten passiert in Der Nebel Ähnliches. Im örtlichen Supermarkt (ein Schauplatz, der bei King als Kommunikationszentrum stets einen krypto-religiösen Anstrich hat) wollen David, sein Sohn und sein Nachbar einkaufen, als plötzlich eine Nebelsuppe den gläsernen Konsumtempel einhüllt. Kurz darauf berichtet ein blutüberströmter Mann, dass etwas im Nebel sei: Keiner verlässt den Supermarkt!

Achtung, Monsterspinnen!

Eine klassische Stephen-King-Situation: Ein zufällig zusammengewürfeltes Panoptikum des kleinstädtischen Mittelstands ist auf engem Raum eingesperrt, konfrontiert mit einer übernatürlichen Bedrohung. Rechtsanwalt und Mechaniker, Lehrerin und Schüler: Sie alle befinden sich zwischen voll geräumten, knallbunten Regalen auf Augenhöhe mit dem Monströsen, das (noch) im Nebel eingehüllt ist. Darabont liegt der Stoff, den er schon seit den 1980ern verfilmen wollte: Wie King führt er die Figuren brachial und unkompliziert ein, setzt auf dramaturgische Ungeheuerlichkeit. Wenn zum ersten Mal baumdicke Tentakel ins Gebäude eindringen, weiß man, dass Darabont auf industriellen Feinschliff verzichtet und den Kern des Genrefilms verstanden hat: Wie in den Filmen der Fünfziger sind die Kreaturen bloß Katalysatoren fürs Zentrum des „Nebels“ – und das liegt im Supermarkt.

Dort bricht die zivilisatorische Fassade spätestens ein, wenn die christliche Fundamentalistin Mrs. Carmody (in einer ihrer besten Rollen: Marcia Gay Harden) von Gotteszorn und Weltende predigt sowie Menschenopfer für die Höllenwesen fordert. Konfrontationen mit diesen gibt es in Darabonts erfrischend zusammenhanglosem Genre-Bastard (zwischen Monsterfilm, Endzeit-Thriller, Komödie und Tragödie) zuhauf: Die Szene, in der David und eine Gruppe Freiwilliger in der Apotheke auf ein Nest von Monsterspinnen treffen, die nicht nur mit ätzenden Säurefäden schießen, sondern ihre Eier bevorzugt unter Menschenhaut ablegen, gehört schon jetzt zu den vergnüglichsten dieses Kinojahres.

Der Nebel funktioniert sowohl als unkonventioneller Mainstream-Film wie als saftiger Zivilisationskommentar (beides im Sinne von Stephen King), bleibt dabei unmoralisch, unpädagogisch und uneitel. Das wirkt zwischen Horror-„Folterpornos“, Remake-Fadesse und Spektakelwahn tatsächlich wie ein nostalgiefreier Rücksturz in die Vergangenheit, wie ein Ding aus einer anderen (besseren) Welt.

DER REGISSEUR

Frank Darabont hat schon zwei Stephen-King-Verfilmungen gemacht: „Die Verurteilten“ (1994) und „The Green Mile“ (1999).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.02.2008)

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