"Persepolis": Gott ähnelt Marx, im Iran wie in Wien

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Marjane Satrapis vergnügliche Verfilmung ihres erfolgreichen Comics „Persepolis“. Ab Freitag.

Die Memoiren einer 30-jährigen Person entspringen gewöhnlich einer Mischkulanz aus Selbstüberschätzung, Posierdrang und medialer Aufmerksamkeitsökonomie: Im Fall der gebürtigen Iranerin Marjane Satrapi trifft das nicht zu. 1969 in eine marxistische Teheraner Oberklassefamilie geboren, überkreuzt sich „Marjis“ Entwicklungsgeschichte mit dem Systemwechsel (oder: dem Austauschen der Unterdrücker) in der Heimat.

2000 veröffentlichte die heute in Paris lebende Satrapi mit „Persepolis“ (nach der Hauptstadt des antiken Perserreichs) eine launig-lakonische Erinnerung an die Jugend während der Islamischen Revolution als schwarzweißes Comic, drei Bände folgten bis 2003. Darin zeichnet sie sich als wissbegieriges, politisch aktiviertes Kind in konstantem Dialog mit „Gott“ (der wohl nicht zufällig Marx ähnelt), das zunehmende Einschränkung persönlicher Freiheiten durch die Fundamentalisten mit einer Mischung aus Naivität und entwaffnender Ehrlichkeit wahrnimmt und kommentiert.

Zwangsverschleierung und Massenexekutionen von Systemgegnern sind im episodischen Comic mit historischen Exkursen verzahnt: Diese hat Satrapi für ihre (mit Vincent Paronnaud angefertige) Filmversion Persepolis zum nachvollziehbaren Erzählbogen eingekocht. Die abgeflachte Struktur gibt einer kontrastreichen Animation Raum, um sich auf „Marjis“ bewegte Lebensgeschichte zu konzentrieren.

Nachdem die freigeistigen Eltern im zunehmend repressiven Gesellschaftsklima keine Zukunft für ihr Kind sehen, schicken sie die 14-Jährige nach Europa. In Wien erfährt die junge Frau eine humanistische Ausbildung – und sie orientiert sich an entstehenden Gegenkulturen, deren „gelebter“ Anarchismus bald als aufgemascherlter Spielplatz für pubertären Widerstand erkennbar wird. Sie sehnt sich nach ihrer Familie und ihren kulturellen Wurzeln, kehrt mit 18 nach Teheran zurück: Aber der vom Krieg zermürbten Stadt ist sie entfremdet. Ihr begegnet eine oberflächlich befriedete Gesellschaft, die sich von den Fundamentalisten in moralisch duldbares Verhalten gängeln lässt, um die Ruhe nicht zu gefährden.

Normalität des Überlebens im Wahnsinn

Satrapis Jugend klingt aus beim resignierten Volk, das sich im Privaten auslebt und für die Öffentlichkeit verkleidet – sowie mit der Gewissheit, überall eine Fremde zu sein. Persepolis ist weder als Film noch als Comic am politischen Argument interessiert: Die erinnerten Alltagsbeobachtungen ähneln eher dem Werk von US-Zeichnern wie Daniel Cloves („Ghost World“) oder Harvey Pekar („American Splendor“). Gerade dem medial überhitzten Iranbild im Westen tut die Verweigerung der Entwicklungsland-Dramaturgie gut: Frech, unmelodramatisch beschreibt Satrapi die Normalität des Überlebens im Wahnsinn, erinnert darin an Art Spiegelmans Klassiker „Maus“. Selbst wenn Persepolis nicht die thematische Komplexität der Vorlage erreicht, bleibt der Film ein vergnüglicher Entwicklungsroman. mak

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.11.2007)

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