„Die zweigeteilte Frau“: Niedertracht zum Niederknien

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Gnadenlose Gesellschaftsbilder: Claude Chabrols große schwarze Komödie „Die zweigeteilte Frau“. Ab Freitag.

Kranke Faszination für die Abgründe des Bürgertums ist Claude Chabrols Metier, aber die Selbstverständlichkeit seines genießerischen Hohns für die bessere Gesellschaft schraubt er in Die zweigeteilte Frau zu ungeahnten Höhen: Es ist vermutlich Chabrols schwärzeste Komödie seit der bitter vernachlässigten Terroristenfarce Nada von 1974. Was kaum auffallen muss angesichts des ethnologischen Eifers, mit dem Chabrol hier den Geist der Doppelmoral studiert.

Deren Ambivalenzen (und die titelgebende Persönlichkeitsspaltung einer korrumpierten Unschuld) werden mit amüsiert gesetzten Stilbrüchen geehrt, aber vor allem durch das Auskosten der absurd anmutenden Rituale einer Klasse: unersättliche, dabei wie wissenschaftliche Blicke auf Dinerzirkel und elitäre Cognacrunden, die als gewinnbringendes Abfallprodukt entlarvende Konversation liefern. Steckte nicht in jedem zweiten Satz eine perverse Pointe, müsste man Chabrols Film beim Wort nehmen als das kühle Krimimelodram, das seine süffisante Satire rahmt: Er wäre dann die Tragödie von der Beiläufigkeit des Bösen.

Vom Eheleben: „Nicht mit der Zunge!“

Stattdessen verspricht der Vorspann große Oper: blutrot gefilterte Bilder, Puccinis „Turandot“. Nur das erste gefälschte Weltbild von vielen: Ein Dreh am Knopf des Autoradios führt in die schnöde Wirklichkeit, zum Besuch einer undurchschaubaren Literaturagentin (ideal: Mathilda May) beim Lebemann-Klienten Charles Saint-Denis (François Berléand). Nacktmalereien zieren dessen gläserne Villa, seine offenbar das Luxusleben mehr als seine Zuneigungen schätzende Gattin mahnt: „Nicht mit der Zunge!“

Der Plauderton ist Chabrols bevorzugte Wunderwaffe der Vivisektion: Das gute Leben in Lyon, ob literarisch oder nicht (natürlich gebärdet sich Autor Charles als Feinschmecker, natürlich ist das bloß Fassade), scheint eine Abfolge unbewusst entblößender Plattitüden und schöngefärbter Intrigen, deren Absprachen man im Vorübergehen aufschnappt. Die Altherrenriege im Club, den Charles für wohl unaussprechliche, jedenfalls unausgesprochene (und unbebilderte) Verruchtheiten besucht, klagt über die Zeiten: „Überall Möpse und Schenkel“, die man aber nicht anfassen dürfe. „Seit dem Fall der Mauer“, sagt einer. Alle nicken.

Solch historische Daten sind bei Chabrol stets nur Ausdruck besserwisserischen Dünkels, denn die Schlechtigkeit des Menschen ist zeitlos. Das ist eines der großen Themen Chabrols, insofern bewiesen von Die zweigeteilte Frau, als ein spektakulärer Mord aus New Yorks High Society von 1906 als Basis des Dreiecksdramas dient: Die Übertragung ins heutige Frankreich geht reibungslos vonstatten. Zeitlos auch die (Chabrol klar am Herzen liegende) Frage, die sich Charles in einer inkompetent moderierten TV-Show stellen darf – ob sich die Gesellschaft zu Puritanismus oder Dekadenz hin entwickle?

Sie entwickelt sich, so überhaupt, dann zum Schlechten: Erfahren muss das die aufrichtig naive Fernsehwetteransagerin Gabrielle (unwirklich: Ludivine Sagnier), in Nahaufnahme vor grell monochromer Grünfläche eingeführt. Diese Wetter-Greenscreen ist Emblem eines Alltags professioneller Unwirklichkeitsproduktion und rücksichtslosen Erfolgsdenkens. Nicht, dass das literarische Pendant, bei aller behaupteten Klasse, besser wäre: Der Jahrzehnte ältere Schriftsteller-Bonvivant ersteigert ein Buch für Gabrielle, die sein Interesse weckt, und gibt es ihr (nach Exkurs über den „sexbesessenen“ Verfasser), damit sie sich die Bilder ansehe.

Unterwürfig im knappen Pfauenkostüm

Das Beziehungsdreieck komplettiert Berufssohn Paul Gaudens (eine köstliche Schnösel-Charge von Benoît Magimel: bescheuerte Frisur, gern den Finger im Mund, stets ein unterwürfiges Faktotum im Schlepptau). Die Zurückweisung durch Gabrielle kümmert ihn, ihre Gefühle weniger: Die verschleudert sie ohnehin im Liebesnest (Türschild: „Paradis“) an den sich verständnisvoll herablassenden Charles, dem nach inspirierender Dekadenz gelüstet. Begeistert kriecht das Mädchen im knappen Pfauenkostüm vor ihm und versichert, sich nicht erniedrigt zu fühlen – „nicht einmal lächerlich“. Chabrol entwirft in diesem Film gnadenlos repräsentativer Figuren vieles buchstäblich bös, hier findet er zum vollendeten Ausdruck lächerlicher Bürgerperversion: Niedertracht zum Niederknien.

Doch der Charme der Liaison welkt trotz „liberaler“ Clubbesuche rasch, beim labilen Paul findet die Verlassene dann Trost in der Ehe, auch der trügerisch: Kaum hat Paul der Mama sein Glück ins Telefon gekichert, verwandelt sich schon seine Ekstase in Entsetzen, als Gabrielle unter der Bettdecke verschwindet – „Wo hast du das gelernt?“. Ein Eifersuchtsdrama nimmt seinen Lauf, fast nebensächlich angesichts der diskreten Verachtung von Pauls Mutter (als Inbegriff angewiderten Geldadels: Caroline Sihol) für eine unstandesgemäße Schwiegertochter – auch die Männer wollen die angeblich Geliebte nur wie ein Objekt besitzen: die selbstgefällige Überheblichkeit der Bourgeoisie.

Psychedelisches Finale in Zauberkulissen

Die wahren Verbrechen, das demonstriert Chabrol mit Genuss, geschehen gemäß dem Protokoll guten Benehmens: Der schöne Schein und der Luxus der Klasse geben erst die Macht zur Demütigung und Korruption.

Die ist unwiderruflich, das demonstriert ein verblüffendes Finale, das den Titel La fille coupée en deux beim Wort nimmt und mit psychedelischen Lichterkaskaden und papierenen Zauberkulissen („indisch“, wie in Fritz Langs letzten Abenteuerfilmen) den Gipfelpunkt einer gelassen altmeisterlichen Inszenierung setzt, die jedes Doppelspiel kennt und sich alle Freiheiten erlaubt. Dann weint die geteilte Protagonistin für sich, lächelt fürs Publikum, in eingefrorener Pose. Auch das, so man will, ein Gesellschaftsbild.

ZUR PERSON

Claude Chabrol (*1930, Paris) ist einer der renommiertesten Filmemacher Frankreichs, unter den großen Regisseuren der Nouvelle Vague wurde er Genrespezialist, inszenierte gern kritische Krimis, viele davon Klassiker („Der Schlachter“, 1970; „Biester“, 1997).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.01.2008)

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