"Verachtet mir die Meister nicht"

Musikalische Impressionen aus New York. Die Wiener Philharmoniker unter Daniel Barenboim, "Meistersinger" unter James Levine, "Simon Boccanegra" unter Fabio Luisi.

Auch in New York dreht sich das Personenkarussell. Eben wurde bekannt, dass Gerard Mortier 2009 Generalintendant von New Yorks zweitem Opernhaus, der City Opera, werden wird. Die „New York Times“ stellte ihn als einen führenden Provokateur der Opernwelt vor und entlockte ihm den Hinweis, dass er diese Aufgabe einem Angebot aus Wien vorgezogen habe.

Heftig diskutiert wird auch die Nachfolge Lorin Maazels als Chefdirigent der New Yorker Philharmoniker. Heftige Spekulationen daher während des Gastspiels der Wiener Philharmoniker. Denn für ihre 19.New-York-Woche hatten sie als Dirigenten Daniel Barenboim eingeladen, den Maazel ausdrücklich als idealen Nachfolger genannt hatte. Darauf angesprochen, verknüpfte Barenboim sein „Sag niemals nie“ diplomatisch mit dem Hinweis auf 57 Jahre Podiumserfahrung...

Wien in New York: seit 1956!

Zarin Mehta, Manager des New Yorker Orchesters, besuchte eines der Konzerte der Gäste aus Wien, denen Carnegie-Hall-Manager Clive Gillinson Rosen streut: „Sie sind das am meisten eingeladene Orchester.“ Beim traditionellen Empfang erinnerte Gillinson daran, dass bereits anlässlich des ersten New-York-Gastspiels der Philharmoniker im Herbst 1956 Bruckners Siebente auf dem Programm stand. Wie damals, als Carl Schuricht dirigierte, wurde das Orchester auch diesmal mit Standing Ovations gefeiert. Mit breiten Tempi in den ersten drei Sätzen und einem zügig genommenen Finale – in dem er mit einer ausführlichen Generalpause überraschte – durchmaß Barenboim das Werk.

Begonnen hatte er mit einer musikantisch durchpulsten Fünften Schubert. Eine Zusammenstellung, mit der man bereits in Madrid Erfolg gehabt hatte. New York war nur Endpunkt und nicht, wie üblich, alleiniges Ziel der Tournee, welche die Philharmoniker zuvor nach Budapest, Oslo, Valencia, Madrid und – auf besonderen Wunsch von Barenboim – nach Moskau geführt hatte.

Ausschließlich für New York wurde ein reines Bartók-Programm einstudiert: Die mit raffiniertem impressionistischem Reiz interpretierten Vier Orchesterstücke und die mit selbstverständlicher Virtuosität ausgebreitete „Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Orchester“ umrahmten das anspruchsvolle Zweite Klavierkonzert. Neuerlich präsentierte Lang Lang den Solopart mit nie erlahmender Bravour, um anschließend mit Barenboim ebenso elanvoll Schuberts Militärmarsch vierhändig zu musizieren.

Reden über Wiener Probleme

Eine mit kräftigen Pinselstrichen gemalte Vierte Schumann und eine von der „Tannhäuser“-Ouvertüre und dem „Meistersinger“-Vorspiel eingerahmte Auswahl aus Bruchstücken der „Götterdämmerung“ bildeten das effektvolle Gastspiel-Finale, dem sich zwei grundverschiedene Encores anschlossen: Sibelius' melancholische „Valse triste“ und die Strauß-Polka „Unter Donner und Blitz“, die das Carnegie-Hall-Publikum zu Begeisterungsstürmen hinrissen.

Bekannt sind mittlerweile auch die nächsten Dirigenten der bis 2011 fixierten New-York-Wochen, die Philharmoniker-Vorstand Clemens Hellsberg neben den Auftritten bei den Salzburger Festspielen, in Luzern und Japan zu den wichtigsten Aktivitäten des Orchesters zählt: 2008 Valery Gergiev, 2009 Zubin Mehta. Diskutiert am Rande dieser New-York-Woche wurde die Situation an der Wiener Staatsoper. „Wir haben eine künstlerische Verantwortung, wir erwarten, dass auch die Politik ihre Verantwortung wahrnimmt“, formulierte Hellsberg den grundsätzlichen Standpunkt und verwies auf die besondere Symbiose zwischen Wiener Staatsoper und Philharmoniker. Freilich haben sich in der Vergangenheit Strukturen geändert. Darauf gelte es zu reagieren.

Unumstrittener Regent Levine

Seit mehr als zwei Jahrzehnten nichts geändert hat sich an der musikalischen Führung der „Met“: Unumstritten regiert James Levine. Auch szenisch scheint die Zeit stillzustehen. Die „Meistersinger“ werden in der aus den 1990er-Jahren stammenden, sehr traditionsgebundenen Otto-Schenk-Inszenierung (in den voluminösen Bühnenbildern Günther Schneider-Siemsens) gezeigt. Aus diesen Jahren stammt auch Giancarlo del Monacos szenisch ähnlich opulente, sich nur am Rande um Personenführung kümmernde Inszenierung von Verdis „Simon Boccanegra“, bei der Symphoniker-Chef Fabio Luisi (er leitet an der Met demnächst eine Neuproduktion von Strauss' „Ägyptischer Helena“) im Orchestergraben untadelig die Fäden zog und so verschiedenen Partnern wie dem grandiosen Ferruccio Furlanetto (Fiesco), dem stimmkräftigen Marcello Giordani (Gabriele), dem noblen Thomas Hampson (Boccanegra) und der vornehmlich in den intimen Momenten überzeugenden Angela Gheorghiu (Amelia) den entsprechenden Teppich auslegte.

Ein etwas müde gewordener James Levine prägte mit langsamen Tempi und subtil modellierten Details Wagners „Meistersinger von Nürnberg“ mit einem strahlenden Stolzing (Johan Botha), einem bemühten David (Matthew Polenzani), einem fahlen Pogner (Evgeny Nikitin), einem outrierten Beckmesser (Hans-Joachim Ketelsen), einer betulichen Eva (Hei-Kyung Hong) und James Morris, einem resignativ agierenden, vokal angestrengten Hans Sachs.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.03.2007)

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