Salzburg: Die Zärtlichkeit der Raubtiere

(c) AP (Kerstin Joensson)
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Regisseurin Barbara Frey reanimiert Heiner Müllers Endspiel "Quartett".

Die Regieanweisung Heiner Müllers ist ein apartes Paradox: „Zeitraum: Salon vor der Französischen Revolution / Bunker nach dem dritten Weltkrieg“ steht einleitend zu seinem „Quartett“, 1980/81 geschrieben – mitten im Kalten Krieg. Ein apokalyptischer Kampf der Geschlechter ist es auch, den der 1995 verstorbene ostdeutsche Schriftsteller hier abgezirkelt hat. Auf 20 Seiten konzentrierte Müller den klassischen französischen Briefroman „Gefährliche Liebschaften“, auf die Konfrontation der Bösewichter. Zwei gefährliche Raubtiere umkreisen einander da, beschnüffeln sich, beißen zu. Sogar ihre Zärtlichkeiten reißen tiefe Wunden.

Die mörderische Marquise de Merteuil (Barbara Sukowa) und der zynische Verführer Vicomte de Valmont (Jeroen Willems) spielen zugleich auch ihre Opfer (die fromme Präsidentengattin Madame de Tourvel und die jungfräuliche Nichte Volanges), sie wechseln auf dem Höhepunkt des Machtrausches selbst ihre Rollen, bis sie gar nichts mehr sind als verrottendes Fleisch. Solch ein Maskenspiel erfordert Raffinesse. Sowohl Sukowa als auch Willems besitzen sie.

Salon und Bunker sind eins...

Am Samstag boten die beiden bei der Premiere in der Salzburger Residenz – abgesehen von minimalen textlichen Schwächen und etwas zu sehr an alte Filme erinnernde Outrage an den stillen Stellen – eine hervorragende Leistung in einer anspruchsvollen Inszenierung: Der Schweizer Regisseurin Barbara Frey (sie leitet ab 2009 das Schauspielhaus Zürich) ist die Wiederbelebung eines Klassikers gelungen, und zwar eher großartig als hoffärtig. Schonungslos lässt sie zwei Stars aufeinander los. Salon und Bunker sind deren Arena. Bühnenbildnerin Bettina Meyer löst diese Dichotomie auf, indem sie im festlichen Carabinieri-Saal auf beiden Seiten in je drei langen Reihen das Publikum drapiert, während an einer ebenso langen, von innen beleuchteten Tafel in der Mitte mit wechselnder Lichtintensität die zwei Schauspieler agieren. Wie Generäle in einer unterirdischen Stabsstelle planen sie den finalen Schlag, entblößen sich, wechseln dauernd die Fronten.

Schein ist alles an diesem Hof mit seinem kalten Kunstlicht. Und so sind auch die ersten Auftritte von wesentlicher Bedeutung. Alles Klamotte, signalisiert uns Frey; hier spielen „Dallas“ und „Dynasty“, das Milieu aus Berlin vor 1989 und aus Paris vor 1789 simultan. Erst kommt die Sukowa in blauem Kleid mit überdimensioniertem Reifrock an die Festtafel, beginnt ihren Singsang, der aus dem Kino so vertraut ist: „Warum sollte ich Sie hassen, ich habe Sie nicht geliebt. Reiben wir unsere Felle aneinander.“ Der erste gespielte Orgasmus ergötzt die Festgäste. Vereinzeltes Lachen. Das kennen wir doch schon aus einer amerikanischen Filmkomödie.

Und schon ist Willems mitten unter uns, im hellen Dandyanzug, mit einer Menge Perlen um den Hals. Er schäkert mit Damen und Herren in der ersten Reihe, er lässt nichts anbrennen, ehe der Seelenstriptease beginnt: „Wann geben Sie Ihre jungfräuliche Nichte zur Besichtigung frei, Marquise.“ (Das ist nicht einmal eine Frage bei Müller, sondern bloße Lakonie, so wie die vulgären, blasphemischen Stellen bloßes Kalkül zu sein scheinen.)

90 Minuten lang dauert das Turnier. Rauf auf den Tisch, runter zur Frau, rauf auf den Mann, rein in den Rock. Sie schwitzen und stöhnen, die Schminkesoße fließt, meist aber beobachten die beiden einander mit kaltem Blick bei ihren Monologen, bei ihren unendlichen Marterarien. Es kommt zuweilen der Verdacht auf, dass hier nicht miteinander gespielt wird, sondern dass eine Monade neben der anderen ihre Bahn durch den kalten Weltraum zieht.

...Verführer und Verführte auch

Wenn es aber Ernst wird, wenn sie zur Sache kommen, in ihrer Rolle als Verführer und Verführte, sind Sukowa und Willems völlig eins, intensive zwei Rücken, sonst nichts. „Das Fleisch hat seinen eigenen Geist“, sagt die Sukowa nun breitbeinig in der Rolle des Valmont, Kirchenmusik ertönt zum Liebeswerben in religiösen Floskeln, kokett wiegt sich Willems dazu im Reifrock, klemmt sich die Kleidung wie ein Schutzschild vor den Schoß. Gäbe es nicht bereits die Theorie des „double bind“ – des Auseinanderklaffens von Sprache und Gestus, durch das Neurosen entstehen –, man müsste sie für dieses Rollenspiel erfinden. „Ich glaube, ich könnte mich daran gewöhnen, eine Frau zu sein, Marquise“, sagt Valmont. „Ich wollte, ich könnte es“, antwortet Merteuil.

Da sind sie fast schon am Ende des Endspiels. Das Hurenstück, so viel sei verraten, will gar nicht gut ausgehen. Es schließt mit größtmöglicher Distanz und Erschöpfung. Für das Schauspiel der Salzburger Festspiele aber bedeutet „Quartett“ die erste Glanzpartie der Saison.

DRAMA: Frei nach Laclos

Heiner Müllers Vorlage für Quartett (1981) ist der Briefroman Gefährliche Liebschaften von Choderlos de Laclos (1782).

Termine: 13.–15. und 17.–20.August, 20:30h im Carabinieri-Saal der Residenz.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.08.2007)

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