Jubiläum: Thomas Pynchon ist 70 - natürlich inkognito

Der große Unbekannte der Postmoderne feierte am 8. Mai Geburtstag. Auch bei dieser Gelegenheit wird man ihn nicht zu Gesicht bekommen: Das letzte offizielle Foto des Autors stammt aus den 50ern.

Das Nobel-Komitee sollte ihn wirklich einmal herausfordern: Würde der amerikanische Kultautor Thomas Pynchon dann wirklich auf die höchste Ehre der Weltliteratur verzichten, um seine Anonymität zu bewahren? Oder würde er den Preis, der ihm nach Meinung von Fans und Kritikern seit Jahren gebührt, mit einem Papiersack über dem Kopf entgegen nehmen? So verhüllt hatte sich der gefeierte Schriftsteller schon einmal zu einem Auftritt überreden lassen: Als Gast der Fernsehserie "Die Simpsons" (in den Episoden "Diatribe of a Mad Housewife", "All's Fair in Oven War" und "Moe'N'a Lisa").

Ansonsten bleibt Pynchon inkognito. Seit mehr als 50 Jahren hat er sich nicht mehr fotografieren lassen. Er gibt keine Interviews, meidet jeden Kontakt mit Journalisten. Zwischen seinen Romanen, für die er sich oft viele Jahre Zeit lässt, sind Leserbriefe oder auch mal ein Vorwort zum Buch eines Kollegen die einzigen - äußerst raren - Lebenszeichen. So dürfte Pynchon auch seinen 70. Geburtstag an diesem Dienstag (8. Mai) ungestört von der Öffentlichkeit begehen. Angeblich lebt "das Phantom" der Gegenwartsliteratur mit Frau und Sohn in New York. Dort wurde er einmal heimlich abgelichtet: Ein weißhaariger Familienvater. Auf dem letzten Foto aus den 50er Jahren war er noch ein junger Mann mit dunklen, wildgekämmten Haaren und vorstehenden Zähnen.

Über 100 Charaktere in einem Roman

Pynchons fünftes und jüngstes Werk, "Against the Day", war erst im Dezember erschienen. 1085 Seiten lang und knapp zwei Kilo schwer, mit gut über 100 Charakteren und unendlichen Handlungssträngen, ist es eigentlich nicht ein Roman, sondern wenigstens drei in einem Band. US-Literaten, viele Kritiker und seine eingeschworene Fan-Gemeinde begrüßten es als "Buch des Jahres", einige Rezensenten vermissten den Tiefgang der anderen Pynchon-Werke.

"Against the Day" spielt in der Zeit zwischen der Weltausstellung in Chicago im Jahr 1893 und dem Ende des Ersten Weltkriegs. Zu den Helden des Buches gehört der Anarchist, Bombenleger und Bergarbeiter Web Traverse, dessen drei Söhne ausziehen, die Welt zu entdecken. Schauplätze sind unter anderem New York, London, Göttingen, Venedig, Wien, Sibirien und Mexiko. Um das neue Werk auch nur annähernd zu verstehen, bedürfe es eines Intellekts, den er "höchstens 5 von 500" seiner Kollegen und Freunde zutraue, schrieb der Kritiker des renommierten "Wall Street Journal".

Bereits für Debüt gefeiert

Pynchon wurde 1937 in Glen Cove unweit von New York geboren und studierte Physik und englische Literatur. Das Studium unterbrach er, um bei der Nvy zu dienen. In den 60er Jahren arbeitete er als technischer Autor bei der Fluggesellschaft Boeing. Von den Kritikern gefeiert wurde bereits sein Debüt "V." (1963). Darin erzählt er die Geschichte einer geheimnisvollen Frau V., die jeweils in historisch entscheidenden Momenten auftaucht. Schon in diesem Roman zeigten sich Pynchons Grundthemen: Angst vor der undurchschaubaren, modernen Wirklichkeit und die Suche nach einer möglichen Ordnung für den Einzelnen im Wirrwarr der Geschichte. Für "V." erhielt Pynchon den "William-Faulkner-Preis".

Nach "Die Versteigerung von No. 49" (1966) sorgte der Roman "Gravity's Rainbow" (dt. Die Enden der Parabel) 1973 für Aufsehen. 17 Jahre ließ sich Pynchon danach Zeit für "Vineland" (1990), einer Abrechnung mit den 60er Jahren, Raketentechnik, Psychoanalyse und perversen Sexualfreuden. "Mason & Dixon" (1997) wurde für seine psychologische Tiefe gefeiert. Ob sich Pynchon mit 70 auf sein Altenteil zurückziehen oder seine Anhänger in aller Welt erneut überraschen wird, bleibt offen: Fragen kann man ihn ja leider nicht. (Ag./Red.)

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