Die tödliche Schwester von Gier und Lust

„Neid“, Jelineks neuer „Privatroman“, ist nur im Internet zu lesen: Sehr persönlich, funkelnd, traurig.

Anlässlich der Nobelpreisverleihung konnte man Elfriede Jelinek noch auf dem Bildschirm sehen, jetzt greift ihr körperliches Verschwinden schon auf ihre Texte über. Die ersten zwei Kapitel von Elfriede Jelineks neuem Roman „Neid“ stehen auf ihrer Homepage www.elfriedejelinek.com, fünf Kapitel hat die Autorin versprochen – so ihr das gelinge. „Fortsetzung folgt“, steht am Ende, mit dem Datum 7.April.

Jeder kann sich diesen Text herunterladen, ausdrucken, nur als Buch soll er nicht veröffentlicht werden, hat Jelinek beschlossen. Auch zitieren ist verboten. Einen „Privatroman“ nennt sie ihren Text. Dass er mit seiner Internetpräsenz öffentlicher ist als jedes gedruckte Buch, gehört zu den Paradoxien, die man von der menschenscheuesten Schriftstellerin des Landes gewohnt ist.

Von „still und stumm“ kann jedenfalls keine Rede sein, die Sprache mäandert und verströmt sich hier, funkelnd und atemlos, durch eine Welt, die Jelinek-Leser schon gut kennen: Im Zentrum steht die alternde, von ihrem Mann, dem Besitzer eines Elektrogeschäfts, verlassene Geigenlehrerin Brigitte K. Sie ist eine neue Schwester der „Klavierspielerin“ Erika, der Karin in „Die Kinder der Toten“, und ein Fremdkörper in der sterbenden Gemeinde, einer ehemaligen vom Erz reich gewordenen Bergbaustadt, die nun vergeblich auf den Tourismus hofft. Kein neues Inventar also, und wieder geht es auch um Sport, Spaß- und Freizeitgesellschaft, pervertierte „Kultur“, Besitz- und Geschlechtsgier; es geht aber auch – offener und in diesem Sinn wirklich „privater“ als bisher – um die „lebende Tote“, die, wie sie kürzlich im Interview sagte, „wegen ihrer psychischen Erkrankung“ nicht mehr das Haus verlassen kann, um ein Ich, das sich mitsamt seinen Ängsten preisgibt – nicht zuletzt der Selbstironie des Textes.

„Wie in der Beichte“

„Neid“ setzt Jelineks Todsündenprojekt fort, es begann 1998 mit „Lust“, setzte sich 2000 mit „Gier“ fort. Hieronymus Boschs „Sieben Todsünden“ umrahmen den Text. So christlich? Zumindest in der Art der Veröffentlichung sieht die Autorin, wie sie kürzlich in einem Interview sagte, ein „vielleicht katholisches Element“: „Dass ich etwas veröffentlichen kann und gleichzeitig davon losgesprochen werde, wie in der Beichte.“ sim

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.05.2007)

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