Fast so großartig wie Picasso?

In ganz Europa versucht man derzeit, die außereuropäischen Sammlungen vom Kolonialgeruch zu befreien.

In vielen Ländern Europas kann man eine Auf- und Neubewertung der außereuropäischen Sammlungen beobachten, oft zugleich mit einer Neuordnung der Museumslandschaft. Vor vier Jahren etwa haben die Briten die ethnologische Sammlung ihres Museum of Mankind aufgelöst und wieder in die Kunstschätze des British Museum eingegliedert. In Deutschland soll bis 2012 auf der Berliner Museumsinsel das sogenannte Humboldt-Forum entstehen.

Ein monumentales Archiv der Weltkulturen soll das werden, ehrgeiziger sogar als das französische Projekt, mit dem sich der ehemalige französische Staatspräsident Jacques Chirac ein ebenso umstrittenes wie beeindruckendes Denkmal gesetzt hat: das neben dem Eiffelturm gelegene Mus©e du Quai Branly. Gleich nach seinem Amtsantritt 1995 hatte er verkündet, der Louvre könne kein großes Museum bleiben, wenn er weiterhin die Kunst von 70 Prozent der Weltbevölkerung ignoriere. Elf Jahre später zogen ausgewählte 3500 Masken, Skulpturen, Masken, Schmuck und Textilien in das bestaunte Gebäude aus der Werkstatt des Architekten Jean Novel.

Aus ethnologischen Objekten wird Kunst

Wie in den Niederlanden oder in Spanien stehen Objekte aus den ehemaligen Kolonien des Landes im Mittelpunkt. Alles zurückgeben!, fordern manche. Chirac ist einen anderen Weg gegangen: Das Mus©e du Quai Branly soll die Vielfalt und zugleich die Gleichwertigkeit der Weltkulturen betonen, es erhebt die Sammlungs-Objekte in den Rang von Kunstwerken. Dementsprechend sind sie präsentiert, wie abstrakte Kunst, versehen mit nur kleinen Informationsschildchen.

Gegen den Vorwurf, die Gegenstände würden damit aus dem historischen Zusammenhang gerissen, hat der heute 97-jährige französische Ethnologe L©vi-Strauss das Konzept verteidigt. Sein Argument: Da die Gesellschaften, um die es hier gehe, entweder ausgestorben oder modernisiert seien, könnten Museen ohnehin keine „authentischen“ Lebenszusammenhänge zeigen; es sei denn, man stelle daneben auch einen Toyota, einen Sack Kaffee. Ziel sei daher vielmehr, alles Großartige auszustellen, was jene Kulturen hervorgebracht hätten. sim

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.05.2007)

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