Er ist schön, der Knabe ...

APA (Barbara Gindl)
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Bregenzer Festspiele. Kunst der Reduktion aufs Wesentliche: Der japanische Regisseur Yoshi Oida hat "Tod in Venedig" sparsam und stimmig inszeniert.

München, um 1900. Der erfolgreiche Schriftsteller Gustav von Aschenbach, verstrickt in eine Lebens- und Schaffenskrise, wird auf einem Friedhof von einem seltsamen Wanderer zu einer Reise in den Süden überredet. In Venedig begegnet er dem geheimnisvollen Fremden (ein Todesbote?) in mehreren Gestalten wieder – auch als Stimme des Dionysos. Denn Aschenbach hat sich in die Schönheit des polnischen Knaben Tadzio verliebt; allmählich zerbricht seine Fassade der Selbstdisziplin. Dionysos, Gott des Rausches und der Leidenschaft, gewinnt in ihm Oberhand über die helle Geistigkeit Apolls. Trotz Cholera-Epidemie versäumt er bewusst die rettende Abreise und stirbt zuletzt an seiner inneren wie äußeren Krankheit.

Thomas Mann hat in seiner Novelle „Der Tod in Venedig“ (1912) eigene Erlebnisse (einschließlich der homoerotisch gefärbten Tadzio-Episode) aufgezeichnet und zugleich symbolisch überhöht. Lucchino Visconti hat in seiner atmosphärisch beklemmend dichten Verfilmung (1971) diese Erzählung breiten Kreisen nahegebracht.

Zufall oder nicht: Auch 1971 ging die englische Schriftstellerin Myfanwy Piper daran, aus dieser Novelle ein Textbuch für Benjamin Brittens letzte Oper zu destillieren. Dabei hielt sie sich eng an den Text, formte aus Aschenbachs Gedankengängen ausgedehnte Monologe, angereichert durch Briefzitate und Aussprüche des Dichters; die Figur des Tadzio gestaltete sie als Tanzrolle.

Leicht hat sie es dem Komponisten damit nicht gemacht, wiewohl er sich der Parallelen zu seiner eigenen Persönlichkeit bewusst war, ja das Sujet wohl gerade deshalb gewählt hatte. Aber einer unmittelbaren Bühnenwirksamkeit mussten jene Selbstreflexionen gewiss im Wege stehen. Immerhin konnte Britten auf die Kunst seines Lebenspartners Peter Pears vertrauen, dem die Tenorpartie auf den Leib geschrieben war. Noch problematischer – auch für das Verständnis eines humanistisch nicht vorgebildeten Publikums – waren wohl Aschenbachs Visionen der Antike mit dem klassischen Fünfkampf der Jugend und dem Streit zwischen Apollo und Dionysos.

Ein reifes Alterswerk

Aber das alles birgt sich doch unter dem schützenden Dach von Brittens genialer Partitur: Sie zeigt alle Anzeichen eines reifen Altersstils – in der Art, wie die heterogensten Elemente zur Einheit gebunden sind, wie höchste Einfachheit und höchste Kunstfertigkeit in eins fallen, wie mit sparsamsten Mitteln größte Wirkungen erzielt werden, wie alle vordergründigen Effekte zugunsten hoher Vergeistigung vermieden sind. Elemente dessen sind zahlreiche Ostinati, ja auch klangflächenähnliche Bildungen; weiters reiche Verwendung des Schlagzeugs, so in der vom ostasiatischen Gamelan inspirierten Musik für Tadzio und seine Freunde. Dazwischen stehen verschiedenartige orchestrale Entwicklungen; und wenn Aschenbach über das Meer fährt, erklingt neben dem angedeuteten Stampfen der Schiffsmaschinen ein Selbstzitat aus „Peter Grimes“. Nicht zu vergessen: die klangvoll gesetzten Chöre.

Im Zentrum aber steht, wie gesagt, die fast pausenlose Präsenz der Zentralfigur in Rezitativ, Melismatik oder ariosen Passagen. Alan Oke erfüllt die immens schwierige Partie mit prägnantester Diktion, perfekter Stimmführung und klarsten tenoralen Farben, aber auch mit hoher darstellerischer Intelligenz – eine zu Recht bejubelte Meisterleistung! Seinem vielgestaltigen Gegenspieler leiht Peter Sidhom einen charaktervollen Bassbariton; akzeptabel der Countertenor von Will Towers (Apollo), prägnant Damian Thantrey als Angestellter im Reisebüro. Aus dem ad hoc zusammengestellten Britten-Festival-Chorus kommen die verlässlichen Vertreter der vielen Nebenpartien, Paul Daniel leitet mit offenkundiger Werkkenntnis und guter Sensibilität die exzellent musizierenden Wiener Symphoniker.

Tiefen Eindruck hinterlässt die vom Britten-Festival in Aldeburgh übernommene Inszenierung des japanischen Regisseurs Yoshi Oïda, der die asiatische Kunst der Reduktion aufs Wesentlichste eingebracht hat. Ein paar Stege über einem flachen Wasserbecken, sparsamste Projektionen auf einer kleinen, quadratischen Tafel vor einem wie aus Papierbahnen geformten Hintergrund – sie genügen zur Evokation der venezianischen Atmosphäre, zur Verlebendigung der rasch wechselnden Schauplätze (Bühnenbild: Tom Schenk). Zwei schwarz gekleidete Gestalten sorgen für die wenigen Requisiten. Oïda führt Protagonisten wie Chor mit gleichsam gelassener Intensität. Und mit brillanter Körperbeherrschung formen die Mitglieder des Tanztheaters Nürnberg die klug stilisierten Sport- und Kampfszenen der Jugend (Choreografie: Daniela Kurz). Stilgerecht hat Richard Hudson sie alle eingekleidet, das stimmige Light design entwarf Paule Constable.

Resümee: ein weiterer Solitär in der Perlenkette der Bregenzer Opernraritäten!

Weitere Aufführungen: 22. und 29.Juli, 4. und 5.August. Tickets: Tel.: 05574/4076.

B.BRITTEN: In Bregenz

Die Symphoniker spielen am 25.7. Brittens „Spring Symphony“, am 30.7. die „Sinfonia da Requiem“, am 6.8. „Courtly Dances“ und „Les Illuminations“. Dazu jeweils ein Werk von Schostakowitsch.

„Paul Bunyan“, Brittens humorvolle Holzfäller-Operette, hat am 27.7. im Kornmarkttheater Premiere.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.07.2007)

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