"Eugen Onegin": Aus Schnee macht Salzburg Nockerln

(c) AP (Andreas Schaad)
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Salzburger Festspiele. "Eugen Onegin" im großen Haus: ein aufgeblasenes Missverständnis.

Tschaikowskys zarte „lyrische Szenen“ nach Puschkin im großen Festspielhaus? Ein Missverständnis, eine Art gigantisches musikalisch-szenisches Salzburger Nockerl. Den Schnee schlagen Andrea Breth und Daniel Barenboim, wie es scheint, eines Sinnes, aber mit unterschiedlichen Vorgaben.

Der Regisseuse scheint, nach der Grazer „Carmen“-Hinrichtung vor zwei Jahren war das schon zu ahnen, für das Musiktheater jegliches Gespür zu fehlen. Die mangelnde Kongruenz ihrer Arbeiten mit den Vorgaben der Musik werden Breths Lobredner gewiss wieder als Teil einer ganz bewussten Verweigerungsstrategie zu erläutern wissen. Ob unter diese Rubrik auch fällt, was schlicht aussieht wie mangelndes Geschick, wenn nicht gänzliche Unfähigkeit im Umgang mit dem Chor? Ist es große Regiekunst, wenn Bauersleute starr wie Oratoriensänger ihre traurig-schönen Lieder absingen? Wenn der Blick auf die Ballgesellschaft, die sich über eine Duellforderung echauffiert, immer nur dann freigegeben wird, wenn Tschaikowsky vierstimmige Kommentare vorschreibt? Schweigt der Chor, wird er flugs wieder hinter schwarzen Riesentüren verborgen!

Pseudometaphysischer Pfusch

Überhaupt Massenszenen: Die Tanzeinlagen im dritten Akt – Tschaikowsky verwendet sie genial, um die halluzinatorische Stimmung des Titelhelden, seine psychische Verwirrtheit zu konterkarieren – werden (angeblich die „Uraufführungsfassung“) einfach gestrichen; zur Polonaise verfällt ein einzelner Partygast am fürstlichen Buffet in konvulsivische Zuckungen.

Im Normalfall würde man dergleichen schlicht als Pfusch abtun. Aber es handelt sich um Festspiele, und Andrea Breth ist eine Vielgerühmte. Also muss das alles Methode haben. Wie auch die vielen pseudometaphysisch-verblasenen Bilder, die bedeutungsschwanger, aber nicht unbedingt erkenntnisfördernd in Martin Zehetgrubers allerdings sehr suggestives Dekor gestellt sind. Kornähren wuchern in den Gutshof herein. Das hat Kraft – wie manch anderer Seelenraum dieses Bühnenbilds. Warum aber ist es nass im Ballsaal? Ein Rohrbruch? Und warum soll er uns mehr über die Befindlichkeiten der dekadenten Feudalgesellschaft erzählen als über die Unfähigkeit der Installateure im zaristischen Russland?

Warum schaufelt der Enkel der alten Filipjewna, die Emma Sarkissjan anrührend wie eine Schwester von Tschechows gebeugtem Diener Firs aus dem „Kirschgarten“ spielt, seiner Großmutter ein Grab, in das sie sich legen muss, sobald sie ihn mit Tatjanas Liebesbrief – auf der Schreibmaschine getippt, wie poetisch und sinnreich! – zu Onegin schickt?

Aufgepumpt zu Cinemascope-Musik

Derlei Vexierbilder lenken davon ab, dass es auch mit der Choreografie für die Hauptdarsteller bei Andrea Breth nicht weit her ist. Ein paar derbe Ringkämpfe zwischen Duettpartnern, wo direkte Konfrontation unvermeidlich ist. Im Übrigen nur wenige feine Detailarbeit, etwa die linkische Tändelei zwischen Olga und Lenski im ersten Bild, oder die – für das Stück leider gänzlich nebensächliche – kabarettistische Feinzeichnung der Duellsekundanten: Da werden plötzlich Charaktere greifbar, während sonst lediglich dank Silke Willretts und Marc Weegers Kostümen plastische Eindrücke entstehen: etwa die herrlich ausgemalte Differenz zwischen einem Provinzfesterl und einer urbanen Gala im fürstlichen St.Petersburger Haus.

Die Fanfarenstöße, die dort zur Polonaise bitten, nimmt Daniel Barenboim zum dynamischen Gradmesser seiner musikalischen Gestaltung. Da er mit orchestraler Riesenbesetzung im großen Festspielhaus musiziert, ist ihm das nicht zu verdenken. Doch ist seine Interpretation ein Missverständnis. Aus Tschaikowskys sensibel-zerbrechlichem Seelenprotokoll macht er riesenhafte, immer wieder jäh und unvermittelt emotionell aufgepumpte Cinemascope-Tongemälde. Selbst dort, wo er die Philharmoniker Pianissimo spielen lässt, zelebriert er diese Tugend mit theatralischer Geste – und wird dabei schleppend langsam.

Beides, Lautstärke wie Schneckentempo, setzen den Sängern arg zu. Da ist Peter Mattei mit schönem, zu langen Bögen fähigem Bariton in der Titelpartie. Selbst er droht im letzten Bild unterzugehen – die Tatjana von Anna Samuil hat bereits in der Briefszene jegliche Chance vergeben, die Möglichkeiten ihres nicht in allen Lagen ebenmäßigen Soprans mehr als achtbar zu präsentieren. Unauffällig, bar des sonst üblichen und von Tschaikowsky so hinreißend komponierten Überschwangs bleibt diesmal auch die Olga (Ekaterina Gubanova), restlos überfordert tönt die Larina von Renée Morloc.

Der blässliche Tenor Joseph Kaisers vermag zwar mit klarer Linienführung zu punkten, bleibt aber den expressiven Anforderungen an die Partie des Lenski viel schuldig. Lediglich Ferruccio Furlanetto überragt als Fürst Gremin mit seiner routiniert vorgetragenen Arie das Mittelmaß dieses keineswegs festspielwürdigen Sängerensembles, das vom Publikum zuletzt – kurz vor Mitternacht – mehr pflichtschuldig als hörbar enthusiasmiert beklatscht wurde.

EUGEN ONEGIN in Salzburg

Mit Anna Samuil (Tatjana), Ekaterina Gubanova (Olga), Peter Mattei (Onegin), Joseph Kaiser (Lenski) und Ferruccio Furlanetto (Fürst Gremin).

Reprisen: 1., 8., 11., 14., 19., 25., 29.8.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.07.2007)

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