Loser sucht Loser

(c) Die Presse (Michaela Bruckberger)
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Konvertiert gegen den Westen. Linke, Ex-Linke und der Islam: Über die neue Internationale der Verlierer.

Das Schönste an den Debatten, die in der Bundesrepublik geführt werden, ist, dass sie auf dem Wissen von gestern und vorgestern basieren. 30 Jahre nach dem deutschen Herbst streitet man sich darüber, ob die RAF-Leute gemeine Kriminelle oder fehlgeleitete Idealisten waren, die sich nur in der Wahl ihrer Mittel vergriffen haben. Seit den Tagen der RAF weiß man auch, dass deutsche Terror-Lehrlinge sich gerne im Nahen und Mittleren Osten zu Profis fortbilden ließen; aber erst seit der Festnahme von Daniel und Fritz denken die Sicherheitspolitiker laut darüber nach, den Besuch von Trainingslagern der al-Qaida und anderer Terrorpaten unter Strafe zu stellen.

Und nun sind die Konvertiten an der Reihe. Man will sie aufspüren, registrieren, überwachen; zugleich wird davor gewarnt, alle Konvertiten unter „Generalverdacht“ zu stellen. Nur eine „kleine Minderheit“ sei labil und neige zu Übertreibungen. Dabei wird bewusst übersehen, dass es bei Überzeugungstätern nicht auf die Menge der Subjekte, sondern die Energie des Einzelnen ankommt. Ein einziger Konvertit ist in der Lage, mehr Eifer zu entwickeln als eine Million „authentischer“ Gläubiger, die von Geburt an dabei sind.

Daniel und Fritz sind mitnichten die ersten „home grown“ Terroristen, sie sind allenfalls die ersten, die ihre Fertigkeiten an der Heimatfront einsetzen wollten. Aber auch das stimmt nur bedingt, denn auch die RAF-Leute waren „home grown“, nur waren sie eben keine Konvertiten und keine Moslems, sondern auffallend oft Kinder aus Akademiker- und Pastorenfamilien. Der morbide Charme, den Daniel und Fritz verströmen, kommt also daher, dass sie nicht wie moslemische Terroristen aussehen, aber so agieren. Der Konvertit, das rätselhafte Wesen. Alle fragen: Wie wird man so einer? Warum wollten Daniel und Fritz nicht bei „Deutschland sucht den Superstar“ auftreten, sondern lieber als Attentäter sterben?

Was bewegt die Konvertiten?

Seltsam: In einem Land, in dem alles statistisch erfasst und ausgewertet wird, weiß man über Menschen, die zum Islam konvertieren, so gut wie gar nichts. Das „Islam-Archiv“ in Soest schätzt die Zahl der Islam-Konvertiten auf etwa 18.000, Tendenz steigend. Andere Schätzungen liegen viel höher. Noch weniger ist über die Motive bekannt. In den meisten Fällen soll es sich um „Gefälligkeitskonversionen“ handeln, um Problemen in der Ehe aus dem Weg zu gehen. So war es früher bei „Mischehen“ zwischen Katholiken und Protestanten, so ist es heute noch, wenn Nichtjuden mit Juden in den Stand der Ehe treten. Solche Fälle kann man vernachlässigen. Was aber ist mit den ideologisch motivierten Konversionen, auch wenn es relativ wenige sein sollen?

Auf diese Frage findet man eher in der Literatur als in der Verhaltensforschung eine mögliche Erklärung. Konvertiten, die sich so radikalisieren, dass sie zu Terroristen werden, kommen bei John Updike („Terrorist“) wie beim Deutschen Christoph Peters („Ein Zimmer im Haus des Krieges“) als Romanfiguren vor, die sich auf der Suche nach dem Sinn des Lebens verlaufen haben und nicht zurück können. Wem solche Überlegungen zu vage sind, der ist auf Erfahrungsberichte und Selbstanalysen angewiesen. Ende letzter Woche erzählte der Hamburger Schriftsteller und Ex-Kommunist Peter Schütt in der „Welt“, „wie ich zum Islam gekommen bin“. „Ich bin mehr als mein halbes Leben lang auf der Suche nach der wahren Religion gewesen, und ich werde diese Suche, so Gott will, bis zu meinem Lebensende und vermutlich auch darüber hinaus fortsetzen.“ Schütt, 1939 geboren und evangelisch getauft, trat mit 19 zum Katholizismus über, „um der Enge meines lutherischen Elternhauses zu entfliehen“. Dreißig Jahre später, mit 50, legte er das islamische Glaubensbekenntnis ab und wurde Moslem. Zwischendurch hatte er sich in einer anderen Glaubensgemeinschaft engagiert: Er gehörte 1968 zu den Mitbegründern der DKP (Deutsche Kommunistische Partei), war Mitglied des Parteivorstandes und Bundessekretär des „Demokratischen Kulturbundes“, einer der vielen scheinautonomen Filialen der DKP. Sein literarisches Schaffen („Ab nach Sibirien“) stellte er in den Dienst der kommunistischen Glaubenslehre, was ihm den Beinamen „Hofdichter der DKP“ einbrachte. Erst nachdem er 1988 wegen abweichlerischer Tendenzen aus dem Vorstand der DKP ausgeschlossen worden war, verließ er die Partei und bedauerte öffentlich, einer Irrlehre aufgesessen zu sein. 1996, sechs Jahre nach seiner Konversion, unternahm er eine Pilgerfahrt nach Mekka.

Auch Roger Garaudy, 1913 geboren, war einmal, wie es sich für französische Philosophen gehört, gläubiger Kommunist. In den 60er Jahren wandte er sich dem Christentum zu und setzte sich für einen „Dialog der Weltreligionen“ auf sozialistischer Grundlage ein. 1982 trat er zum Islam über, bald darauf machte er sich einen Namen als Israel-Basher und Geschichts-Revisionist. 1998 wurde er von einem französischen Gericht wegen Leugnung des Holocaust verurteilt, 2002 bekam er den „Al-Gaddafi International Prize for Human Rights“ des libyschen Staatschefs Muammar al-Gaddafi.

Ein Übertritt zum Christen- bzw. Judentum ist ziemlich aufwendig, der Kandidat muss nicht nur glauben, er muss auch vieles lernen. Dagegen ist eine Konversion zum Islam eine extrem einfache Übung. Notfalls kann man sogar in einer Gefängniszelle konvertieren, wie Carlos, „der Schakal“ (mit bürgerlichem Namen Illich Ramirez Sanchez), nachdem er 1997 von einem französischen Gericht zu lebenslanger Haft verurteilt worden war. Auf sein Konto gehen der Überfall auf das OPEC-Hauptquartier in Wien 1975 und zahlreiche Terroranschläge. 2003 veröffentlichte Carlos aus dem Gefängnis heraus das Buch „Revolutionärer Islam“, in dem er den Terrorismus als ein Mittel des Klassenkampfes erklärt und verteidigt. Er äußerte auch seine Unterstützung für Osama bin Laden und die Anschläge vom 11. September. Seit 2005 schreibt er unter seinem muslimischen Namen, Salim Muhammed, Artikel für die Zeitschrift „Aylik“, das Organ der „Front der Kämpfer für den Islamischen Großen Osten“.

Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt trat auch David Myatt, der Gründer des National Socialist Movement in Großbritannien, zum Islam über, änderte seinen Namen in Abdul Aziz ibn Myatt und veröffentlichte einen Essay, „From Neo-Nazi to Muslim“, in dem er seine Beweggründe erklärte, und die lagen vor allem in seiner Verachtung für das westliche System, seinem Hass auf die Juden und seiner Begeisterung für den „praktischen Dschihad“, der geführt werden müsse, „um unser Land von den Ungläubigen zu befreien“. Auch Oskar Lafontaine macht aus seinen Sympathien für den real existierenden Islam kein Geheimnis. In einem Interview mit dem Neuen Deutschland stellte er „Schnittmengen zwischen linker Politik und islamischer Religion“ fest, u.a. den Gedanken der „Gemeinschaft“, die Pflicht zum Teilen und das „Zinsverbot“.

Auch Loser können Schrecken verbreiten

Was ist es also, das den Islam so attraktiv macht? Islamwissenschaftler Stefan Weidner bietet eine plausible Erklärung an: „Wer den Koran liest, fühlt sich öfter selbst angeredet, als wäre auch er ein Prophet. Der Appellcharakter ist größer, ebenso das Versprechen der Geborgenheit, wenn man nachgibt und sich bekennt. Man könnte den Islam mit dem Heiratsantrag eines äußerst vielversprechenden, obschon recht autoritären Typen vergleichen ...“ Der freiwillige Verzicht auf den freien Willen wird durch ein Mehr an Nestwärme belohnt.

Es könnte noch einen weiteren Grund geben, der im Basement des Unbewussten schlummert. Die Umma, die Volksgemeinschaft der Muslime, umfasst über eine Milliarde Menschen, die unter sehr verschiedenen Bedingungen leben. Wenn es überhaupt etwas gibt, das sie verbindet, ist es das Gefühl, ständig zu kurz zu kommen, benachteiligt und übervorteilt zu werden.

Loser machen nicht nur Dritte für ihr Unglück verantwortlich, sie suchen auch die Gesellschaft anderer Loser. Sie nehmen gerne die Einladung an, einander unter dem Dach eines großen Kollektivs beizustehen. Der Revolutionär, der jeden Irrtum, den er durchlebt hat, für die Lösung aller Probleme hielt; der Terrorist, der mordend die Welt bereiste und sich nun bis an das Ende seiner Tage in einer Zelle einrichten muss; der Politiker, der längst Kanzler geworden wäre, wenn sich die anderen nicht gegen ihn verschworen hätten – sie alle finden Trost in dem Gedanken, dass man ein Loser sein und trotzdem Angst und Schrecken verbreiten kann, wenn man nur die richtigen Freunde hat. Wie Daniel und Fritz. Die „home grown“ Loser aus dem Sauerland.

PERSON. Henryk M. Broder

Der deutsche Publizist (Jg. 1946) mit polnisch-jüdischen Wurzeln kam 1958 über Wien nach Deutschland. Er schrieb Bücher über das deutsch-jüdische Verhältnis, Antisemitismus und Antiamerikanismus in der deutschen Gesellschaft, in letzter Zeit publiziert er vor allem Kritisches zum Islamismus und der (fehlenden) Reaktion Europas darauf.

Beim 11. Philosophicum Lech nimmt Broder am Donnerstag an der Diskussion „Religion und Öffentlichkeit“ teil. Das Philosophicum (Thema: „Die Gretchenfrage: Nun sag', wie hast du's mit der Religion?“, mit R.Menasse, P.Strasser u.v.a.) dauert bis 23.9. www.philosophicum.com [Bruckberger]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.09.2007)

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