Pop

Disco-Renaissance: Kleiner Tod – was nun?

Jake Shears und Ana Matronik gestalten ihre Emphase im von lockenden Duftstoffen gefüllten Gasometer. Der Herzschlag erhöhte sich im Schatten der Basstrommel auf 125 Beats pro Minute: schrille Interventionen zwischen Eros und Thanatos.

Frühe wie späte Jugendliche tanzten mit reichlich Glitter und Federboa, Lack und Leder im öden Gasometer an, um sich saisonbedingt mit Zotigem aufzuladen. Die lauen Frühlingslüfterln, sie versprechen ja, ach, so viel. Die stille Macht der Pheromone war dann auch in den grellen Farben und glänzenden Oberflächen raffiniert geschnittener Kleidungsstücke beredt reflektiert. Als Leadsänger Jake Shears, getragen von der infektiösen Popmelodie der aktuellen Single „She's My Man“ eingaloppierte, brachen erste Dämme. Selbst mit Stacheldraht tätowierte Lesben begaben sich in den Modus des Gurrens und Schnurrens. Über all den kusshungrigen Mündern stelzte der wendige Ex-Stripper in schwarz glitzernder Montur ekstatisch piepsend, gefährlich auf und ab: „I don't wanna be the Tarzan of your next epic disaster“.

Im Dschungel wilder Gefühle

Eh, nicht. Dass die schrillen Scissor Sisters nicht als Ratgeber im Dschungel der wild wuchernden Gefühle agieren wollen, ahnten die meisten Anwesenden. Wer wollte schon Ansagen wie „Hope you're all on drugs?“ ernst nehmen. Shears, aus dessen Mund dies stolperte, und seine Mikro-Kombattantin, die gleichzeitig brav und verrucht aussehende Ana Matronic, wollen eher von ausgetretenen Pfaden erlösen. Die 2001 als Dead Lesbian And The Fibrillating Scissor Sisters gegründete Kombo, die ihr scharfes Soundgulasch mit Zutaten aus Disco, Glam-Rock und Pop köchelt, versorgt den Mainstream mit grellen Nachrichten aus randständigen Gebieten der menschlichen Sexualität. Die falschen Schwestern empfangen geheime Signale aus ominösen Dark Rooms und aus patinierten Discotheken. Sie wissen: Die Magie liegt im Schritt, zuweilen auch im Tanzschritt. Zum satten Bumm der Basstrommel fistete der schmalbrüstige Sänger unsichtbare Pforten, gab dem militärischen Terminus Stechschritt entschieden erotische Konnotation. Zu unbekümmertem Kirmesorgel-Gewimmer zählte der flippige Jake im hübsch wummernden „I Can't Decide“ genüsslich allerlei Mordmethoden zwischen Hieb und Stich auf. Unmittelbar danach wurde wieder Wesentlicheres fokussiert: der unkaputtbare kleine Tod. Zunächst schwärmte die üppige Ana noch von Tulpen, ehe sie Brüste aus Wiener BHs hüpfen sehen wollte. „Manche glauben, die guten Zeiten wären vorbei, lasst sie uns gemeinsam auf ein neues Level bringen!“, beschwor sie die Massen, das freche „Tits On The Radio“ intonierend. Die Band pumpte eifrig. Zunächst eher vergeblich.

Passiv in der Peepshow

Das Publikum hielt peepshowmäßig still, schmatzte bloß an und ab kriegerisch. Bewegung ins Areal brachte dann das hart peitschende, sexuelle Doppelmoral demaskierende „Filthy/Gorgeous“. Die fünf Trash-Hedonisten, diesmal ohne Stamm-Drummer Paddy Boom, brillierten überraschend mit zwei eher unterbewerteten Songs. Das mit dramatischen Wolga-Chören anhebende „Kiss You Off“ und das giftig gesungene, melodisch leicht federnde „Lights“ entzückten mit reinster Pop-Magie. Zeremonienmeister Jake hatte sich mittlerweile in Emphase getanzt. Divengleich, mit schwarzen Handschuhen bis über die Ellenbogen, kritzelte er rätselhafte Zeichen in die Luft, tanzte Figuren, irgendwo zwischen Bolschoi-Ballett und Tempelhüpfen. Das düstere „Transistor“, nur als Bonustrack auf der britischen Ausgabe des Erfolgalbums „Ta-Dah“ veröffentlicht, stoppte die Begeisterung der nach Wiedererkennbarem lechzenden Massen kurz. Das quietschige Cover von Pink Floyds „Comfortably Numb“ fungierte danach als Art Zauberstaub. Die Menschen kamen zunächst in Bewegung, um dann in aller Gemütlichkeit zu erstarren. In Erwartung eines donnernden Zugabenapplauses gingen die Scherenschwestern ab. Als der nicht und nicht einsetzen wollte, enterten sie leicht verdrossen abermals die Bühne und knallten ihre größten Hits „Take Your Mama“ und „I Don't Feel Like Dancing“ raus. Ein kurzer Schwall kollektiver Entrücktheit, dann kehrte das harsche Prinzip Realität wieder.

Inline Flex[Faktbox] AUFSTIEG:Scissor Sisters("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.04.2007)

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