Mit Waffengesetzen hat das herzlich wenig zu tun

Gegen Amokläufer ist die Gesellschaft machtlos. Aber es ist menschlich, das nicht wahrhaben zu wollen.

Auf Ereignisse wie den Amoklauf an der Universität in Blacksburg, Virginia, kann man nur emotional reagieren. Dazu gehört, dass nach einem solchen Ereignis sofort ein Schuldiger gesucht wird – nicht nur, weil man des Entsetzens durch Schuldzuweisung Herr werden möchte, sondern auch, um nicht unter der eigenen Hilflosigkeit zu leiden: Man will an geeigneter Stelle Abhilfe fordern können. Irgendwer, am besten der Staat, muss doch gegen irgendwen etwas unternehmen können, damit so etwas nie mehr passiert.

So ist der Mensch gestrickt, und das ist nicht seine schlechteste Eigenschaft. Aber Emotionalität kann in Abwege führen, wenn Wegweiser der Vernunft außer Kraft gesetzt werden; und wer diese einmahnt, wird gern als Zyniker hingestellt. Ein solcher Abweg ist die nun einsetzende Diskussion um Waffengesetze. Verständlich, aber: Waffengesetze haben mit solchen Amokläufen so gut wie nichts zu tun.

Es gibt keine Korrelation: Auch wo es viel schwerer ist, an Schusswaffen zu kommen, ereignen sich solche Untaten (Zöbern 1997, Erfurt 2002, Emsdetten 2006). Andererseits sind Schulmassaker in Israel oder der Schweiz, wo die Gesetze ähnlich lasch sind wie in den USA, bisher nicht aufgetreten (allerdings 2001 die Schießerei im Lokalparlament des Kantons Zug). Auch gibt die Theorie wenig her, dass die Täter bei strengeren Waffenbesitz-Bestimmungen anders oder gar nicht gehandelt hätten. In den meisten Fällen ist die Absicht lange vor den Tatwaffen vorhanden, und die werden mit großer Findigkeit besorgt. Musterbeispiel ist das Columbine-Massaker 1999, wo die beiden jungen Massenmörder sich überwiegend illegale Waffen besorgt (auch Bomben gebastelt) und dabei 17 Waffengesetze übertreten haben.

Aber auch wenn der Ruf nach strengeren Waffengesetzen zum Schutz vor Amokläufern unbegründet ist, heißt das nicht, dass mit der Waffenkultur in den USA alles zum Besten steht. Es scheint aber so zu sein, das sowohl Amerikas laxe Gesetze wie Amerikas Schießfreudigkeit beides Ausflüsse der gewalttätigen Alltagskultur Amerikas sind. Gerade darauf berufen sich letztlich auch die Waffenbesitzer: In den USA gibt es pro Jahr im Schnitt 500.000 Verbrechen mit Schusswaffeneinsatz, aber zwei Millionen Fälle bewaffneter Notwehr. Die Polizei erschießt pro Jahr rund 1000 Straftäter (oder wen sie dafür hält), die Bürger dreimal so viele. Das kann man freilich auch als Argument gegen den Waffenbesitz sehen, aber man muss schon verstehen, dass sich angesichts dieser Zahlen viele US-Bürger mit Pumpgun im Kleiderschrank sicherer fühlen als mit strengen Waffengesetzen, um die sich die Gangs und die Unterwelt relativ wenig scheren.

Über die Statistiken, ob Waffenbesitz das Leben sicherer oder unsicherer macht, könnte man viele Stunden streiten (und tut dies in den USA auch). Einmal belegt eine Studie (Yale), dass die Bundesstaaten mit laxeren Gesetzen niedrigere Mordraten aufweisen, dann sagt eine andere Studie (Harvard) das Gegenteil (lässt dabei aber interessanterweise den District of Columbia weg, wo es trotz scharfen Waffenverbots eine hohe Verbrechensrate gibt). Sonnenklar ist die Sache jedenfalls nicht. Die Interessensvertreter der Waffenbesitzer sind nicht bloß schießwütige Zyniker – und sie verteidigen immerhin das den absoluten Herrschern abgetrotzte Recht auf bürgerliches Waffentragen. Andererseits sind die Kritiker, die sich von einem strengeren Umgang mit Waffen eine Zivilisierung der spätwildwestlichen Schießkultur der USA erhoffen, auch nicht ganz blöd.


Zur Unzeit geführt, kann die Waffengesetz-Diskussion aber jedenfalls unsere Sicht vernebeln. Etwa darauf, dass sich die Zustände in den USA seit Jahren ohne Hilfe der Waffengesetze bessern: Die Zahl der Teenagermorde ist seit den frühen 90er-Jahren auf fast die Hälfte zurückgegangen (99 Prozent davon finden außerhalb der Schulen statt). Oder die Sicht darauf, dass sich anderswo Kulturen der Gewalt trotz strenger Schusswaffenkontrollen etablieren, etwa in Großbritannien. Dort wird alle zwei Wochen ein Kind erstochen, jeden Tag ein Lehrer verletzt, in den staatlichen Schulen tragen 42 Prozent der Buben unter 16 ein Messer mit sich.

Was die Schul-Amokläufe betrifft, müssen wir uns damit abfinden, dass unsere Schuldzuweisungs- und Anlassfallgesetz-Reaktionen nichts helfen. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass man solche extrem seltenen, blitzartigen Manifestationen der menschlichen Abgründe höchstens durch glückliche Fügung im Einzelfall verhindern kann – gesellschaftliche Prävention gibt es dafür nicht. Unsere Trauer, unser Schrecken sind hilflos, das müssen wir akzeptieren.


michael.prueller@diepresse.com("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.04.2007)

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