Klimawandel als Religion

Die Tempeldiener der geschundenen Muttergöttin Erde sind Teil des Problems, als dessen Lösung sie sich sehen.

Jedes Mal wieder erinnert die Veröffentlichung eines Berichts der UN-Klimakommission an die Geschichte von den großen Plagen, mit denen der biblische Gott dem abtrünnigen Bundesvolk drastisch vor Augen geführt hat, was es bedeutet, sich vom Schöpfer abzuwenden. Die mediale Rhetorik, von der die IPCC-Reports begleitet werden, weist eklatant religiöse Züge auf: In den Buchstabenkathedralen der Zeitungen, Magazine und Fernsehsendungen wird nicht über empirische Belege und interpretative Hypothesen, über wahrscheinliche Ursachen und mögliche Folgen, über realistische Szenarien und Worst-case-Extrapolationen verhandelt. Sondern über Schuld und Sühne.

Auch wenn wir inzwischen kaum noch zwischen Klimahysterie und Antihysterie-Hysterie unterscheiden können, so bleibt doch der Grundton, in dem in der breiten Öffentlichkeit über den Klimawandel, seine Ursachen und Folgen diskutiert wird, konstant: Es ist der biblische Ton, in dem die Geschichte der geschundenen Mutter Erde erzählt wird, die zurückschlägt.

Das liegt nur zum geringeren Teil an den Auftraggebern und Autoren des IPCC-Berichts selbst: Sie sind sich wohl überwiegend der Tatsache bewusst, dass man ihren Veröffentlichungen, die nicht zuletzt das Ergebnis ganz pragmatischer politischer Verhandlungen zwischen den großen Machtblöcken sind, nicht schlechterdings den Offenbarungscharakter zuschreiben kann, den sie in der medialen Öffentlichkeit genießen. Es sind Umweltorganisationen wie der WWF, die aus der kühlen, im Grunde eher optimistischen Hochrechnung, bei welchem Ausmaß von CO2-Reduktion ab dem Jahr 2015 die CO2-bedingte Erderwärmung in einem wirtschaftlich-technisch einigermaßen beherrschbaren Rahmen gehalten werden könnte, eine Art letzte Bekehrungsfrist machen: Acht Jahre hätten wir noch Zeit zur Bekehrung, sagen die Tempeldiener der Göttin Gaia. Wenn wir sie nicht nutzen, bleibt ihr nichts übrig, als uns in einer Art Notwehrakt für unsere Halsstarrigkeit mit Feuersbrünsten, Sintfluten und Hungersnöten zu bestrafen.


Ist die Debatte auf diese Weise erst einmal religiös grundiert, lässt sich unter dem mit den Emblemen der politischen Korrektheit reich bestickten Mäntelchen des Fortschritts das reaktionärste Dogmenregime etablieren, das die Religionsgeschichte bis auf den heutigen Tag hervorgebracht hat: das Regime des Verbots mit seinen Ritualen der Enthaltsamkeit. Die grünen Erdministranten greifen ironischerweise genau auf jene erprobten Systeme zurück, die sie im wirklichen Leben mit größter Erbitterung bekämpfen. Der pseudoreligiöse Klimaterror der Umweltgläubigen funktioniert nicht anders als das rigide Regime der katholischen Sexualmoral: Wer Menschen durch Verbote von selbstbestimmtem Verhalten abhalten will, muss aus werbetechnischen Gründen die Askese zur wahren Lust erklären. Anders lässt sich ja auch nicht erklären, dass die an sich eher unspektakuläre Radfahrt eines so genannten „Lebensministers“ als ökopolitisches Hochamt inszeniert wird.

Gemessen an der Strenge, mit der heute jeder Abweichler von der Mainstream-Apokalyptik als Spinner denunziert wird, muss einem Joseph Ratzinger in seinen rigidesten Attacken gegen die lateinamerikanische Befreiungstheologie als nachgerade religionsgefährdender Laissez-faire-Jünger erscheinen. Auch hier haben die heutigen Öko-Jihadisten von den monotheistischen Vorläufern gelernt: Jemandem, der die derzeit herrschende Lehre über den anthropogenen Anteil an der Erderwärmung nicht so recht befolgen will, wird einfach unterstellt, er zweifle den Klimawandel als solchen an. Ungefähr so hat man im Mittelalter Menschen, die Zweifel an der handelsüblichen Beschreibung des göttlichen Wesens äußerten, der frevlerischen Leugnung des Höchsten überführt.


Der dritte Teil des IPCC-Reports referiert unterschiedliche Möglichkeiten, die Klimaveränderung unter Einsatz großteils bereits vorhandener Technologien unterschiedlich stark zu beeinflussen. Genau darum ginge es eigentlich: abzuwägen, welche Auswirkungen die Klimaveränderungen in welchen Teilen der Welt haben werden, welche Chancen und welche Risiken sie bergen, welche Verschlechterungen der Umweltbedingungen wir bereit sind in Kauf zu nehmen, um Produktionsweise oder Lebensgewohnheiten aufrecht erhalten zu können.

Das von Schicksalhaftigkeit und Unausweichlichkeit geprägte Denken der Klima-Apokalyptiker dagegen ist ein wesentlicher Teil des Problems, als dessen Lösung es sich sieht.

Der jüngste IPPC-Bericht Seiten 1 bis 3


michael fleischhacker@diepresse.com("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.05.2007)

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