Die Stadt als Ego-Werbefläche

Die Wiener Streetart-Szene ist klein. Und doch ziehen sich die illegalen Werke einer Handvoll aktiver Künstler seit Jahren wie ein Netz über die Stadt. Eine Bestandsaufnahme.

In der Nacht rücken sie aus, um der Stadt ihren Stempel aufzudrücken: Streetartists. Mit Plakaten, Stickern, Styropor-Schriftzügen oder Schablonen und Spraydosen machen sie Werbung für sich selbst, manchmal auch für ihre politischen Ideen. Sechs Streetartists sind seit mehreren Jahren regelmäßig in Wien aktiv und haben mit ihrer Kunst ein Netz über die Stadt gezogen – illegal. Das gehört zum Spiel.

Kleine, aber aktive Szene

Deshalb kennen nur wenige die wahre Identität von „Busk“, „Holy Sin“, „Kryot“, „Deep Inc.“, „Smurf“ oder „Die Made“, den aktivsten Künstlern der überschaubaren Wiener Szene. Seit Anfang 2006 hat sich die kleine Galerie „INOPERAbLE“(Lindengasse 4) als Sammelpunkt der „Streetart-Kids“ etabliert.

Laut Norbert Siegl vom Institut für europäische Graffiti-Forschung gibt es in Wien 300 regelmäßig aktive Streetartists: „Die Wiener Szene ist international top, es gibt hier ein irrsinniges Potenzial.“

Die Einschätzung der Szene selbst sieht anders aus. 150 bis 200 Leute würden zumindest hin und wieder im öffentlichen Raum aktiv, so Künstler Clemens Wolf, der 2006 eine Streetart-Ausstellung im Museumsquartier organisiert hat. Im Vergleich zu anderen europäischen Städten sei die Wiener Szene klein. „In Berlin oder Barcelona (Europas Streetart-Metropolen, Anm.) macht jeder was in diese Richtung, das ist dort ein Volkssport.“

„Wien ist eben anders“, sagt „Busk“ dazu. „Die Wiener sind immer skeptisch. Es ist wie bei einer roten Ampel: Erst wenn einer losgeht und nichts Schlimmes passiert, gehen die anderen auch.“ Die Szene werde auch nicht wie in Deutschland von kleinen Verlagen gefördert, beklagt „Busk“, der seinen Namenszug über die ganze Stadt verteilt hat – mit großflächigen Graffitis genauso wie auf hölzernen Affenkopf-Silhouetten.

1996 hat er mit Graffiti begonnen, 2001 war er als Teil des Graffiti-Projekts „Cmod“ einer der ersten in Wien, der mit Plakaten gearbeitet hat. „Ich wollte mit den Techniken spielen, um unterschiedliches Publikum zu erreichen. Die Akzeptanz ist bei Streetart größer als bei Graffiti.“ Das Projekt „Intervention F1“ etwa, bei dem er mit anderen Künstlern die Überdachung der Straßenbahn-Station Hietzing in eine Rennbahn umgestaltet hat, wurde sogar von den Wiener Linien genehmigt – im Nachhinein.

Vor dem Gesetz ist Streetart Sachbeschädigung wie „klassische“ Graffitis auch. „Die Möglichkeit bei einer Anzeige straffrei auszusteigen ist aber höher, wenn die Kunstwerke reversibel sind“, so der Wiener Rechtsanwalt Albrecht Haller, der auch Graffiti-Künstler berät.

Einer der aktivsten Wiener Streetartists ist „Die Made“. Er arbeitet mit solchen „reversiblen“ Materialien: 5000 Sticker und mehrere hundert Plakate hat er in den letzten zweieinhalb Jahren über die Welt verteilt. Schwerpunkt: Wien. „Anfangs wollte ich zeigen, dass wir wie die Maden im Speck leben.“ Mittlerweile stehe aber das Medium selbst im Vordergrund. „Ich will dass die Menschen sich damit auseinander setzen.“

Offenbar funktioniert's. Kinder kratzen die Sticker von Wänden, Postkästen oder Ampelpfosten um sie auf ihre Kappen zu kleben, erzählt er. „Viele Leute kennen mich wegen der Made, kennen mich aber wieder doch nicht.“ Auch das gehört zum Spiel.

http://cmod.atwww.myspace.com/diemade

Inline Flex[Faktbox] LEXIKON.("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.05.2007)

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