„Risikofreude ist das Erfolgsrezept des Christentums“

Im „PRESSE“-Interview: Kardinal Christoph Schönborn, Erzbischof von Wien.

Die Presse: Glauben Sie, dass Richard Dawkins (Evolutionsbiologe, scharfer Kritiker Schönborns) auferstehen wird?

Kardinal Christoph Schönborn: Ich glaube, dass wir alle auferstehen werden. Im Auferstehen wird es eine letzte Chance zu einer Grundzustimmung zum Sein, zur Gutheit der Welt und damit zu Gott geben.

Eines der Probleme zwischen Naturwissenschaft und Theologie ist die Vorstellung der leiblichen Auferstehung. Die Naturwissenschaften betonen die Unmöglichkeit von Paralleluniversen, in der leibliche Gebilde noch einmal durch die Welt spazieren. Was antworten Sie den Naturwissenschaften?

chönborn: Die Frage der leiblichen Auferstehung war schon in der Antike die am meisten kritisierte Sicht. Es ist eine ungeheure Herausforderung an die Vernunft, anzunehmen, dass dieser Leib irgendeine postmortale Existenz haben soll.

Wie begegnen Sie persönlich dieser Herausforderung?

Schönborn: Man muss die Frage stellen: Ist materielles Sein etwas Positives oder ist es ein Epiphänomen, etwas, was eigentlich nicht sein sollte. Wenn man die Frage positiv beantwortet, dann stellt sich unerbittlich die Frage nach dem Vergehen. Warum ist es dann der Vergänglichkeit unterworfen?

Eine Theorie von der Ewigkeit der Materie kann in einer materiellen Welt nicht gehalten werden, die vom Werden und Vergehen geprägt ist und deren letztes Ende wahrscheinlich wieder ein Vergehen sein wird, so wie wir annehmen, dass die Welt einen hochenergetischen Anfang mit dem Urknall hat.

Der nicht der erste gewesen sein muss...

Schönborn: Die Multiverse-Theorie ist eine interessante Spielerei. Sie entzieht sich aber jeglicher Verifikabilität.

Als Glaubensfrage wäre sie geeignet.

Schönborn: Nein. Sie ist eher geeignet, am buddhistischen Weltmodell anzuknüpfen, das eine unendliche Zahl von Welten annimmt. Die Kernfrage ist: Hat die materielle Existenz den Charakter reiner Flüchtigkeit? Wenn das der Fall ist, ist schwer zu begründen, warum sie nicht den Charakter reiner Beliebigkeit hätte. Der jüdisch-christliche Glaube an die Auferstehung hängt untrennbar zusammen mit dem Glauben an die Schöpfung.

Das heißt: Materielle Welt ist etwas Urpositives – gewollt von einem Schöpfer – was letztlich auch begründet, warum sie nicht einfach verschwinden kann. Noch konkreter stellt sich die Frage: Ist unsere leibliche Existenz Spiel der Illusion, oder ist sie Wort, das wir vernehmen können? Wenn wir es zuspitzen: Ist die Liebe in ihrem körperlichen Ausdruck, der ja wesentlich zur Liebe gehört, nur der Schleier der Täuschung oder hat das unzerstörbare Bedeutung?

Unzerstörbar insofern als über den Rand der hiesigen Existenz hinaus.

Schönborn: Ja, über die Schwelle des Todes.

Die Lehre von der leiblichen Auferstehung ist heute nicht leicht vermittelbar. Da muss sich auch ein hochgebildeter Theologe und Kardinal von Wien sozusagen beim Denken zuschauen, um damit zurechtzukommen.

Schönborn: Der Schöpfungsglaube ist primär eine Zustimmung: Es ist gut, dass es die Welt gibt. Es ist gut, dass wir so verfasst sind wie wir sind. Vieles von dem, was uns heute in Europa selbstverständlich ist, lebt aus dem Schatz und Erbe eines Glaubens, der jahrhundertelang geprägt war vom Glauben an die Auferstehung.

Auch das Christentum selbst war nicht immer frei von der Gegenseite, der Weltfremde und der Leibfeindlichkeit.

Schönborn: Das stimmt, diese Spannung hat damit zu tun, dass wir nicht in einer endgültigen Welt leben. Wäre das alles, müssten wir uns ganz dem neuplatonischen Pessimismus zuwenden. Dann gäbe es wirklich nur die Weltflucht. Die Wasserscheide in dieser Spannung zwischen Weltverneinung und Weltbejahung ist das Faktum der Auferstehung Jesu. Wenn schon die Inkarnation Gottes in der Fleischwerdung der Mittelpunkt des christlichen Glaubens ist, dann ist das schon ein unfassbares Ja zur Welt. Gott wird Welt. Mit der Auferstehung Jesu wird das sozusagen verendgültigt, dass die Todesseite der materiellen Welt in die Schranken gewiesen ist. Der Tod hat nicht das letzte Wort.

Dieses Denken hat ja seinen Ursprung vor dem Auferstehungsglauben der Christen.

Schönborn: Der Auferstehungsglaube wurzelt im jüdischen Schöpfungsglauben. Die ersten ausdrücklichen Formulierungen über die Auferstehung findet man in den Zeugnissen, die gleichzeitig die ersten Zeugnisse über die Schöpfung aus dem Nichts sind.

Man gewinnt den Eindruck, die Theologie liefert den Naturwissenschaften ein Rückzugsgefecht. Es gibt eine Abstrahierung des Glaubens an die leibliche Auferstehung. Das hat Grenzen, denen wir uns zu nähern scheinen.

Schönborn: Die Grenze, wo es mit einer metaphorischen Erklärung nicht mehr geht, wäre die Behauptung, man hat den Leichnam Jesu gefunden. Die Behauptung auch mancher Theologen, es sei irrelevant, ob das Grab leer war oder nicht, da muss man sagen, hier ist die Grenze des Metaphorischen erreicht. Wenn das Grab nicht leer war, dann ist die ganze Story Pfaffenschwindel. Die Auferstehung Jesu war die erste Ratenzahlung, die garantiert, dass das am jüngsten Tag auch für die anderen passieren wird.

Wenn sich mit Blick auf die Auferstehung die „K.o.-Frage“ stellt, ob das materiell so war – gibt es diese Frage auch mit Blick auf die Schöpfung? Wäre also, wenn die Wissenschaft zweifelsfrei feststellt, dass vor dem Urknall etwas war, der christliche Glaube am Ende?

Schönborn: Ich glaube, es gibt sogar zwei solcher Punkte. Der eine ist der absolute Anfang. Wenn die Big-Bang-Theorie hält, und danach sieht es aus, stellt sich die Frage: What has banged? Man kann die Frage, was vor dem Big Bang war, nicht stellen. Denn vor dem Big Bang war nicht etwas. Hier stoßen wir an eine Grenze, über die mit den naturwissenschaftlichen Methoden nicht hinausgegangen werden kann.
Das heißt nicht, dass die Grenze ein Beweis für die Schöpfung ist. Wenn die Wissenschaft beweisen könnte, dass es diesen absoluten Anfang nicht gegeben hat, wenn bewiesen würde, dass sich der Kosmos ewig aus sich heraus reproduziert, dann wäre es um den christlichen Glauben schlecht bestellt.

Es bliebe dann aber immer noch eine Frage, die selbst in der Hypothese einer Ewigkeit der Energie und Materie nicht beantwortet wäre: Warum ist etwas und nicht vielmehr nichts? Das ist die Urfrage der Metaphysik. Diese Frage bliebe auch, wenn die Materie ewig wäre.

Aber diese Frage könnte nicht mehr wie bisher schöpfungstheologisch aufgeladen werden.

Schönborn: Das stimmt. Gelänge es, kosmologisch hinter den Big Bang zurückzugehen, wäre das eine Art „smoking gun“ im Verfahren gegen den Glauben. Man könnte ein Transzendenzdenken aufrechterhalten, aber der Glaube an die Schöpfung setzt einen absoluten Anfang voraus.

Ich glaube nicht, dass es jemals möglich sein wird, einen Beweis für die Ewigkeit der Materie zu führen. Daher wird es auf dieser Ebene wohl bei einem Unentschieden bleiben. Die metaphysische Frage ist aber vernünftiger beantwortet mit einem transzendenten Ursprung.

Das heißt, das Christentum ist eine eher riskante Religion, es setzt sich am Anfang und am Ende einem K.o.-Risiko aus. Religionstaktisch wären Sie gut beraten, auf jene Theologen zu hören, die Sie gelegentlich maßreglen: die eher bei der metaphysischen Grundfrage bleiben und die K.o.-Fragen über den Ausweg metaphorischer Erklärungen umschiffen.

Schönborn: Nein. Die Risikofreudigkeit des christlichen Glaubens ist eines seiner Erfolgsrezepte. In Athen auf den Areopag gehen, auf die Wall Street der damaligen geistigen Welt, und zu sagen: „Ich verkünde Euch den Gott, den Ihr nicht kennt, und ich sage Euch, er ist in Judäa geboren, und er ist auferstanden von den Toten“: das ist volles Risiko.

Das Christentum geht philosophisch aufs Ganze und hat zugleich eine Geschichte der verlorenen Rückzugsgefechte vorzuweisen. Positiv formuliert könnte man sagen: es wird immer spannender.

Schönborn: Ja, genau. Das Spannende an dieser risikofreudigen Geschichte ist, dass alle Immunisierungsstrategien dem Christentum nicht geholfen haben, dass es immer herausgefordert war, ins volle Risiko zu gehen. Ich denke, das ist auch das Spannende heute: die Metaphorisierung des Christentums ist ja auch seine Banalisierung. Die wirkliche Herausforderung muss schon quer liegen.

Sie hatten uns noch eine weitere „K.o.“-Frage in Aussicht gestellt.

Schönborn: Eine zweite Grenze neben dem absoluten Anfang ist der absolute Anfang des Menschen. Es gibt nur einen Punkt, wo die Glaubenslehre in die wissenschaftliche Diskussion um die Evolution dogmatisch eingegriffen hat. Pius XII. hat gesagt, dass man die Hypothese eines gemeinsamen Ursprungs alles Lebendigen annehmen kann. Aber es gibt einen Punkt, an dem ein Kontinuum in der Evolution nicht angenommen werden kann, das ist die Erschaffung der Geistseele des Menschen. Die ist immer ein ganz konkreter Schöpfungsakt.

Um diesen Punkt kann die Glaubenslehre der Kirche nicht herum. Hier kann sie nicht nachgeben und den Ursprung der Seele, der Unverwechselbarkeit der Person des Menschen metaphorisieren. Der Mensch mag in seiner leiblichen Konstitution aus niedrigeren Formen des Lebens sich entwickelt haben. Sicher hat seine Geistseele einen nicht-tierischen Ursprung, ist unmittelbar von Gott geschaffen.

Wo in der Evolutionsgeschichte sehen Sie den Punkt, an dem der mit einer unmittelbar geschaffenen Geistseele ausgestattete Mensch in Erscheinung tritt?

Schönborn: Dort, wo Gott dem Menschen eine Seele eingehaucht hat.

Aber man kann diese Lehre von der individuell geschaffenen Geistseele des Menschen doch nur vertreten, wenn man in einen konkreten Punkt in der Evolution sieht, ab dem das der Fall ist.

Schönborn: Ja, aber es ist nicht die Aufgabe der Theologie, diesen Zeitpunkt zu datieren.

Wer sonst als ein Theologe soll bestimmen, ob ein Lebewesen mit einer göttlich geschaffenen Geistseele ausgestattet ist? Waren zum Beispiel die Neandertaler Inhaber einer solchen von Gott geschaffenen Geistseele?

Schönborn: Diese Frage kann ich nicht beantworten. Ich kann nur sagen: Wenn der Neandertaler ein Mensch war, dann war er auch mit einer von Gott geschaffenen Geistseele ausgestattet. Mensch ist man, oder man ist es nicht. Das postuliere ich mit Entschiedenheit: entweder Mensch oder nicht Mensch.

Sie sprachen von der Risikofreudigkeit des christlichen Glaubens. Wir hatten ja in Europa Jahrhunderte erlebt, in denen das Risiko darin bestand, sich nicht christlich zu deklarieren. Heute dreht sich das: Sind wir über den Umweg der Säkularisierung wieder im Naturzustand des Christentums angelangt?

Schönborn: Wir sehen in Europa das, was Augustinus in seinem Gottesstaat als „civitas mixta“ beschrieben hat: eine gemischte Gesellschaft mit sehr vielen christlichen Momenten, die eine lange Geschichte haben und zu den positiven Wertbeständen Europas gehören. Zugleich erleben wir das Christentum in einer neuen Diaspora-Situation. Das sehen wir bei bioethischen Debatten, wo christliche Positionen oft ziemlich radikal in der Minderheit bleiben.

Diese Situation hat ihre großen Chancen, weil sie eine Risikoposition ist. Heute im Europarat gegen die Euthanasie-Lobby zu kämpfen, ist eine spannende Alternative. Heute Alternativwege zur Generalisierung der Abtreibung zu suchen, ist riskant und spannend.

Kardial Walter Kaspar hat auf der Europasynode 2000 den Satz gesagt: Christen wird man in Zukunft an dem erkennen, was sie nicht tun. Das erinnert an frühchristliche Aussagen. Und Peter Sloterdijk hat unter Hinweis auf die radikale Abbau- und Subversionsstrategie der 68er-Generation gemeint: „Heute sind wir dankbar für jedes Molekül stabiler Strukturen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.04.2007)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.