Ohne Heimat und ohne Hoffnung

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Serbien. Den Kosovo-Vertriebenen machen Armut und Perspektivlosigkeit zu schaffen. Von der Politik erwarten sie sich nichts mehr.

Pancevo. Acht Jahre liegt der Kosovo-Krieg zurück. Doch Stanislava und Milorad Spalevic bekommen dessen Folgen noch täglich zu spüren. Mit den zwei Söhnen teilt sich das Ehepaar aus der Kosovo-Stadt Pec nun vor den Toren der serbischen Hauptstadt Belgrad eine zwölf Quadratmeter kleine Einzimmer-Baracke im Auffanglager von Pancevo. In Pec habe er zu den gutsituierten Bürgern der Stadt gehört, versichert seufzend der krebskranke Dreher: „Und schauen Sie, wo ich nun gelandet bin. Ich habe alles verloren.“

Der Krieg habe ihrer Familie nur „Armut, Obdachlosigkeit und Unglück“ gebracht, klagt seine Frau. Gut sei sie mit den albanischen Nachbarn ausgekommen, beteuert die Serbin: „Die normalen Leute sind doch nicht schuld daran, was passiert ist. Die Politiker haben uns hierher gebracht. Und nun übernimmt niemand die Verantwortung, uns zu helfen.“

Noch immer dauert das diplomatische Ringen um den künftigen Status der abtrünnigen Provinz an. Die Kosovo-Albaner, mittlerweile 95 Prozent der Bevölkerung, pochen auf Unabhängigkeit. Belgrad will der seit 1999 von der UNO verwalteten Provinz aber nur substanzielle Autonomie einräumen. Zwischen allen Stühlen sitzen die offiziell 200.000 nach Kriegsende 1999 vertriebenen Kosovo-Serben, die in Serbien oft unter erbärmlichen Umständen hausen. Rückkehrperspektiven sehen sie kaum. Doch ernsthafte Bemühungen zu ihrer Eingliederung lassen die Behörden auch wegen der offenen Statusfrage nicht erkennen.

Von Lager zu Lager

Die UN-Flüchtlingsbehörde UNHCR bemängelt in einem Arbeitspapier denn auch die „Unentschlossenheit“ der Regierung in Belgrad, sich stärker um die Vertriebenen zu kümmern: „Die laufenden Kosovo-Gespräche schaffen dafür auch kein positives Umfeld. Und die Vertriebenen sitzen weiter fest zwischen unsicheren Rückkehrperspektiven und Mangel an lokalen Integrations-Möglichkeiten.“

Mutlos und früh gealtert wirkt die Alleinerzieherin Snezana Darmanoviz, während sie ihre Odyssee Revue passieren lässt. Mit dem „letzten Bus“ sei ihrer Familie 1999 noch die Flucht aus Pez geglückt: „Wir hatten keine Wahl: Wären wir geblieben, wäre das unser Todesurteil gewesen.“ Nur die Kleider auf dem Leib habe sie mitnehmen können, sagt die heute 39-jährige Hausfrau. Die Häuser der meisten Angehörigen seien von Albanern niedergebrannt worden.

Pancevo sei das dritte Flüchtlingszentrum, in das es sie verschlagen habe, erzählt die schwer nierenkranke Frau. Mit ihren 17 und 19 Jahre alten Söhnen teilt sie sich die acht Quadratmeter ihres mit Stellwänden abgetrennten Verschlags. Der Vater lasse nichts von sich hören, mit 120 Euro Sozialhilfe müsse sie ihre Familie über die Runden bringen.

Er sei „müde und ausgebrannt“, gesteht Zoran Graovac, der Direktor des Zentrums. „Ich sehe, dass da Leute sind, die Hilfe brauchen. Aber es fehlt uns einfach an Mitteln.“ Ein „Abhängigkeitssyndrom“ macht er vor allem bei älteren Lagerinsassen aus, die selbst nach der Übersiedlung in Sozialwohnungen Schwierigkeiten hätten, sich im normalen Leben zu behaupten: „Sie haben oft keine Kraft mehr für einen Neubeginn.“

„Es gibt für uns keine Rückkehr“

Die Heimkehr hält der desillusionierte Milorad Spalevic für fast ausgeschlossen. In Pec lebten keine Serben mehr: „Es gibt im Kosovo für uns keine Sicherheit – und keine Rückkehr.“ Am meisten bedauert seine Frau die Kinder, die ihrer Jugend und jeglichen privaten Lebens beraubt worden seien. Sie wünsche sich nur noch, dass ihre Kinder ein eigenes Dach über dem Kopf hätten, bevor sie sterbe. Er sei in einem Stall geboren worden, als seine Eltern Ende des Zweiten Weltkriegs von Montenegro nach Kosovo flüchteten, erzählt beim Abschied ihr Mann Milorad: „Und wie es aussieht, werde ich auch in einem Stall sterben.“

ZWEIMAL VERTREIBUNG

Während des Kosovo-Krieges 1999 vertrieben serbische Einheiten systematisch 850.000 Albaner aus dem Kosovo. Nach Kriegsende folgte die Rache: 200.000 Kosovo-Serben wurden nun ihrerseits vertrieben. Im Gegensatz zum Flüchtlingselend der Kosovo-Albaner fand diese Vertreibungswelle international kaum Aufmerksamkeit.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.10.2007)

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