Nordirak: "Das Beste waren die Bomben der USA"

Kurdish peshmerga troops participate in an intensive security deployment against Islamic State militants on the front line in Khazer
Kurdish peshmerga troops participate in an intensive security deployment against Islamic State militants on the front line in Khazer(c) REUTERS (STRINGER/IRAQ)
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Die Kurden im Nordirak jubeln über die US-Luftangriffe. Doch der Kampf gegen die selbst ernannten Gotteskrieger vom "Islamischen Staat" (IS) bleibt schwierig – auch, weil sie Unterstützer in der Bevölkerung haben.

Sie sind müde, aber überglücklich: „Wir haben heute über drei Stunden gegen die Jihadisten vom „Islamischen Staat“ (IS) gekämpft, viele von ihnen getötet und den Angriff zurückgeschlagen“, erzählen Soldaten der kurdischen Peshmerga am späten Abend auf ihrem Posten am Rande von Makhmour. Der Ort, nur etwa 30 Fahrminuten von Erbil, der Hauptstadt Irakisch-Kurdistans, entfernt, war vor drei Tagen von IS überraschend eingenommen worden. „Das Beste war aber heute der Bombenangriff der USA“, sagen die kurdischen Kämpfer freudestrahlend: „Ein Flugzeug kreiste stundenlang am Himmel, dann kam ein zweites und hat mehrere Raketen abgefeuert“, erinnert sich einer der Soldaten und grinst über beide Ohren: „Wir können nur sagen: Vielen Dank USA, vielen Dank!“

Der Angriff am Freitagnachmittag war einer der ersten Einsätze der US-Luftwaffe in Kurdistan, die Präsident Barak Obama erst am Donnerstag genehmigt hatte. Die Kampfjets waren vom Flugzeugträger U.S.S. George H.W. Bush (benannt nach dem Präsidenten des Ersten Irak-Kriegs der USA 1991) aufgestiegen und zerstörten mobile Geschützstellungen des IS. Und es wird noch lange nicht der letzte Angriff gewesen sein: Der Militäreinsatz werde noch einige Zeit andauern, sagte Obama am Samstag: „Wir werden es nicht zulassen, dass sie ein Kalifat in Syrien und im Irak errichten.“

Das hört man im Lager der Peshmerga gern. Hunderte von Kämpfern sind hier auf einem Hügel stationiert, um ein weiteres Vorrücken des IS zu verhindern. Die von den Extremisten besetzte Stadt liegt unten im Tal. In der Ferne kann man flackernde Lichter erkennen. Lange darf man auf dem Hügeln nicht stehen bleiben. „Die Terroristen beobachten uns“, meint General Schino Hassani. „Wenn sie zu viele Leute sehen, kann es leicht sein, dass sie uns wieder mit Mörsern beschießen.“ Drinnen im Haus werden kurz vor Mitternacht Wasser- und Honigmelone, Trauben, Feigen und Trockenbrot aufgetischt. Kein üppiges Abendessen, aber den Soldaten und Offizieren ist das nach ihren Erfolgserlebnissen egal. Dicht gedrängt sitzen sie auf dem Boden vor den Schüsseln mit geschnittenem Obst. Nach dem Essen wird genüsslich eine Zigarette geraucht, als hätte man gerade ein Festessen hinter sich.


Angst vor Rachegefühlen der Sunniten.
„Wir könnten Makhmour leicht zurückerobern“, behauptet Hassani. „Aber wir müssen Rücksicht auf die Zivilisten nehmen, selbst wenn sie den IS unterstützen.“ In Makhmour leben überwiegend sunnitische Araber: „Sollten sie bei unseren Angriffen getötet werden, dann provoziert man zusätzliche Konfrontationen, die wir vermeiden wollen.“ Rachegefühle könnte man absolut nicht brauchen.

Makhmour selbst ohne Zivilisten einzunehmen ist mit Sicherheit nicht so einfach, wie Hassani vorgibt. Der Offizier will Stärke zeigen, nachdem das Image der Peshmerga sichtlich Schaden genommen hat. Nach dem Vormarsch des IS, der am 10.Juni mit der Eroberung der Stadt Mosul begonnen hatte, galten sie als einzige Truppe, die den Islamisten Paroli bieten könnte. Mit der Reputation ist es erst einmal vorbei, und seit Beginn der Kämpfe im Juni haben die Peshmerga bereits 150 Kämpfer verloren. Im Lauf der vergangenen Woche konnte der IS große Landgewinne und die Einnahme von 15 Orten im Nordirak vermelden.

Darunter sind die christliche Stadt Qaraqosch und das von Yeziden bewohnte Sinjar. Die Christen konnten in sichere Gebiete flüchten. Aber etwa 10.000 Yeziden blieb bei mehr als 40 Grad im Schatten nur der Marsch in die Berge, und sie sind dort von IS-Kämpfern eingeschlossen. „Diese Zivilisten sind nicht nur in Gefahr, von IS getötet oder entführt zu werden“, sagt Donatella Rovera von der internationalen Menschenrechtsorganisation Amnesty International. „Sie leiden auch unter dem Mangel an Nahrung, Wasser und Medikamenten. Sie brauchen dringend Hilfe.“ Gleichzeitig müssten weitere Angriffe des IS verhindert werden.

„Das ist aber nicht so einfach“, gesteht Sirwan Barzani im Hauptquartier der Peshmerga, das rund 40 Kilometer außerhalb Erbils liegt (die AUA stellte ihre Flüge in die Kurdenhauptstadt übrigens vorerst ein). Barzani ist ein führender Kommandeur und Neffe von Kurdenpräsident Massoud Barzani. „In den Bergen ist es schwer zu kämpfen, und der IS kann von seinen Stellungen die gesamte Gegend beschießen“, beschreibt er die schwierige Lage.

Korridor für Flüchtlinge. Trotz der Widrigkeiten sei es den Peshmerga in den vergangenen beiden Tagen gelungen, mehr als 200 von 1100 geflüchteten yezidischen Familien aus den Bergen von Sinjar zu befreien: „Unseren Truppen haben einen halbwegs sicheren Korridor eingerichtet, über den die Evakuierung läuft“, erklärt Barzani und stellt gleichzeitig fest, die Befreiung an sich sei nicht das größte Problem. Auf dem Weg von Sinjar in die sichere Stadt Dohuk müssten die Peshmerga arabische Städte und Gebiete durchqueren, was lebensgefährlich sei: „Wir haben auf dieser 100 Kilometer langen Strecke bisher 35 Mann verloren. Die arabische Bevölkerung unterstützt IS, und das ist eines unserer größten Probleme.“ Warum sie das täten, wisse er nicht: „Wie kann man solche Schlächter, die wie am Fließband töten, unterstützen?“

Der Neffe des Präsidenten ist den USA ebenfalls dankbar für ihren Lufteinsatz. Denn die Schwächen der Peshmerga sind durch den aktuellen Vormarsch des IS deutlich geworden, wie er auch offen zu gibt. Dazu zählt er die mangelhafte Koordination zwischen den verschiedenen bewaffneten kurdischen Gruppen. Man müsse sich möglichst schnell restrukturieren, sagt Barzani. „Von einem Tag auf den anderen befanden wir uns im Krieg und müssen nun eine 1000 Kilometer lange Grenze gegenüber den Terroristen verteidigen.“ Wer könne das schon? Meldungen von der Übernahme des Mosul-Dammes durch die Islamisten weist er jedoch entschieden zurück. „Sie sind zwar am Rande des Stausees angelangt, aber der Damm selbst und die Anlange zur Elektrizitätsgewinnung sind nach wie vor in unserer Hand.“

Barzani hofft, dass die US-Luftangriffe weiter intensiviert werden. Für die ersten Tage sei das Ergebnis nicht schlecht, da der IS Waffen und zahlreiche Kämpfer verloren habe. „Zusammen mit umfassender Luftaufklärung und der Arbeit unseres Geheimdienstes kann sicher ein entscheidender Schlag gegen die Islamisten durchgeführt werden“, versichert der Peshmerga-Kommandeur. Barzani wünscht sich, dass es nicht bei Luftangriffen bleibt. Er hofft auf moderne Waffen, die die kurdischen Truppen dringend im Kampf am Boden brauchten. Bisher seien neue Waffenlieferungen, trotz entgegengesetzter Meldungen, nicht angekommen. Nach Barzanis Vorstellungen hätte es Militärhilfe längst geben sollen. „Wir sind die einzige Demokratie in der Region, und der Westen gibt doch vor, so etwas unterstützten zu wollen“, meint Barzani und fügt süffisant an: „Sagen Sie doch Bundeskanzlerin Angela Merkel, dass wir ihre Hilfe brauchen.“

Die Gegner

Islamischer Staat (IS). Die extremistische Gruppe agiert grenzübergreifend im Irak und in Syrien und hat auf dem von ihr beherrschten Territorium Ende Juni ein Kalifat ausgerufen. Ihr Anführer ist Abu Bakr al-Baghdadi. Die Jihadisten haben zigtausende Christen und Yeziden vertrieben.

Peshmerga. Die kurdischen Kämpfer tragen derzeit am Boden die Hauptlast des Kampfes gegen den Islamischen Staat (IS). Die Truppen, deren Loyalität Kurdenpräsident Massoud Barzani gilt, agieren trotz allen Zwists gemeinsam mit syrischen Kurdenkämpfern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.08.2014)

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