Wer regiert das Internet? Ruf nach mehr Demokratie

AP Photo/Rajesh Kumar Singh
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Weder USA noch UNO sollen bestimmen.

RIO DE JANEIRO. Mehr Schein als Sein – das wird UN-Konferenzen oft vorgeworfen. Dass es auch anders geht, bewies vorige Woche das zweite Treffen des Internet Governance Forum (IGF) in Rio de Janeiro. An die 1400 Vertreter von Staaten, Unternehmen und der Zivilgesellschaft aus 109 Ländern trafen zusammen, um über die Zukunft des Internet zu sprechen.

Derzeit haben die USA aufgrund eines Vertrags des US-Handelsministeriums mit der Internet Corporation for Assigned Names and Numbers eine Oberaufsicht über die Verwaltung der Kernressourcen des Internet inne. Die ICANN ist vor allem verantwortlich für die Koordination der Domainnamen. Auch wenn bisher alle ihre Beschlüsse akzeptiert wurden, fordern viele Staaten vor allem des Südens eine Demokratisierung: Eine internationale Organisation – oder die Staaten selbst – sollen über die weitere Entwicklung des Internet wachen.

Zur Diskussion solcher Probleme richtete der Weltinformationsgipfel der UNO in Tunis 2005 das Internet Governance Forum ein, das sich nach Athen 2006 in Rio zum zweiten Mal traf. UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon wies darauf hin, dass die Vereinten Nationen keine Führungsrolle anstrebten. Eine Verwaltung des Internet durch ein Regierungsgremium kommt hingegen für die Zivilgesellschaft nicht in Frage, sehen doch manche Staaten das Internet eher als mögliches Vehikel zur Überwachung ihrer Bürger.

Dem steht der offene „Multistakeholder-Ansatz“ des IGF gegenüber, der allen Interessenten die Möglichkeit gibt, gleichberechtigt nach Lösungsansätzen zu suchen. Dazu gehört ein leichterer Zugang zum Internet für alle. Dies setzt eine „Demokratisierung“ der Domain-Namen, also eine Vergrößerung ihrer sprachlichen Vielfalt durch Zulassung anderer Schriften voraus. Die ICANN lässt derzeit zehn Sprachen mit nicht-lateinischem Alphabet – wie Chinesisch und Arabisch – durch eine Arbeitsgruppe testen. Auch soll die Entwicklung von Inhalten im Süden gefördert werden, da bisher der Großteil aus dem Norden kommt. Auch Fragen der Sicherheit des Internet, der Abwehr von Spam und Internet-Kriminalität und insbesondere der Schutz der Kinder verlangen nach einem breiten Zusammenwirken aller Akteure.

Mehr Menschen denn je nutzen die Möglichkeiten des Internet: heute etwa 1,2 Mrd. gegenüber 70 Mio. vor zehn Jahren. Doch weiterhin bleiben 5 Mrd. von den modernen Technologien ausgeschlossen. In Rio war man sich einig, dass darin die größte Herausforderung der Zukunft liegt. Während ein in Tunis eingerichteter Digitaler Solidaritätsfonds keine Unterstützung fand, wurden viele von Initiativen zur Überwindung der „digitalen Kluft“ vorgestellt, wie die „Connect Africa“-Initiative der Internationalen Telekommunikationsunion oder der Plan Indiens, 100.000 Dörfer bis Ende 2008 mit Internetzentren zu versorgen.

Meinungsfreiheit, Datenschutz

Ein Thema vieler Diskussionen war die Rolle der Menschenrechte, insbesondere der Meinungsäußerungsfreiheit und des Schutzes persönlicher Daten. Die rasch wachsende Praxis von Staaten, die technischen Möglichkeiten des Netzes zur Blockade kritischer Seiten und zur Filterung von E-Mails und Blogs zu nutzen, gefährdet die Offenheit des Internet. Aber auch der sorglose Umgang von Internetfirmen mit Daten ihrer Nutzer wurde angeprangert. Mehrere „Dynamische Koalitionen“ von Vertretern der Zivilgesellschaft, der Wissenschaft, internationaler Organisationen und Staaten sowie Unternehmen wollen bis zum nächsten Treffen Richtlinien zum besseren Schutz der Menschenrechte in der Informationsgesellschaft ausarbeiten, die in einer „Bill of Rights“ des Internet zusammengefasst werden sollen.

Die Klärung der künftigen Steuerungsorgane hat noch bis 2010 Zeit. Derzeit läuft eine Evaluierung des US-Handelsministeriums, ob die Kontrolle durch die USA noch notwendig ist, um die Sicherheit der kritischen Infrastruktur zu gewährleisten. So bestehen heute weltweit schon 134 Root Server, sodass das System gegen Cyberattacken weitgehend immun ist. 2010 kann ein neuer US-Präsident die Rolle des US-Handelsministeriums bei der Kontrolle von ICANN zurücknehmen. Im selben Jahr findet ein Gipfel der UN-Organisation für Informationstechnologien (ITU) statt. Die ICANN könnte zu einer unabhängigen Agentur werden. 2010 endet auch das Mandat des IGF. Das Forum bringt auf eine in der Geschichte der internationalen Beziehungen beispiellose Weise alle Akteure in einem großen Wettbewerb der Ideen zusammen. Bewusst werden keine Beschlüsse angestrebt, um diplomatisches Hickhack zu vermeiden.

Univ.-Prof. Dr. Benedek hat am IGF teilgenommen. Er lehrt Völkerrecht an der Uni Graz und leitet seit 2003 FWF-Projekte zu Menschenrechten und Fragen der „Governance“ in der Informationsgesellschaft.
Mag. Kettemann ist Forschungsassistent im laufenden Projekt.

LEXIKON

IGF: Internet Governance Forum der UNO, Mandat bis 2010

ICANN: Internet Corporation for Assigned Names and Numbers, durch Vertrag mit US-Regierung mit Verwaltung zentraler Internet-Ressourcen betraut

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.11.2007)

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