„Schluss mit den Verschwörungstheorien“

Olympia-Doping-Sperren. Mediziner Arne Ljungqvist sieht neue Situation im Doping-Kampf: Vorgelegte Turin-Beweise wiegen gleich schwer wie Bluttests. Leistungsdiagnostiker Hans Holdhaus übt herbe Kritik am ÖSV.

ROM/STOCKHOLM/WIEN (red.). In Turin war er schon ins TV-Bild gerückt worden bei der Doping-Pressekonferenz. Da präsentierte der Schwede Arne Ljungqvist im Auftrag von IOC und Anti-Doping-Agentur Wada die „ersten Ergebnisse“ und hielt stolz die Postkarte ins Publikum, auf der die Biathlon-Mannschaft mit Trainer Walter Mayer zu sehen war. Jetzt sieht der Vorsitzende der medizinischen IOC-Kommission durch das Urteil – sechs österreichische Athleten wurden lebenslang von Olympia ausgeschlossen – gar eine neue Situation geschaffen.

Dieses Urteil sei insofern „ungewöhnlich“, weil damit bisher unbescholtene, aktive Sportler lebenslang von den Spielen ausgesperrt wurden, sagte Ljungqvist in einem Interview mit der schwedischen Nachrichtenagentur TT. Die Entscheidung sei sogar „einzigartig“, als man den Athleten nicht einmal unerlaubte Mittel im Blut nachweisen habe können. „Wir stehen vor einer neuen Situation. Wir haben hier den Beweis, dass sich etwas getan hat und die von den Ermittlern vorgelegten Beweise gleich schwer wiegen, wie Blutproben.“

Kopf nicht in Doping-Sand stecken

Natürlich gibt es auch in Österreich Reaktionen. Vor allem Leistungsdiagnostiker und Doping-Experte Hans Holdhaus warnte davor, weiter den Kopf in den Sand zu stecken. „Dieser Fall ist Grund genug, die Anti-Doping-Strategien zu überdenken“, sagt der Direktor des IMSB-Institutes, der das IOC-Urteil nachvollziehen kann. „Das Ganze ist das Ergebnis einer Summe von Ereignissen, die 2002 in Salt Lake City begonnen und wegen mangelnder Kooperations-Bereitschaft dazu geführt haben, dass sich das IOC provoziert gefühlt hat!“ Holdhaus sprach Klartext: „Man muss aufhören, sich verfolgt zu fühlen oder Verschwörungstheorien zu spinnen. Der Fall ist Fakt! Vielmehr sollte man sich darüber den Kopf zerbrechen, wie man so etwas in Zukunft verhindern kann!“

Holdhaus kann auch der Argumentation, dass die im Zuge der Razzien gefunden Substanzen und Materialien natürlich nicht zum Doping verwendet worden wären, nichts abgewinnen. „Es geht nicht um verbotene Substanzen, sondern verbotene Verfahren. Und alles, was dort gefunden wurde, kann im Zuge von verbotenen Methoden eingesetzt werden. Wenn das auch noch im Kollektiv auftritt, macht man dem IOC die Interpretation sehr leicht.“ Was aber macht man tatsächlich mit Blutbeuteln? Oder warum kugeln benützte Spritzen bei Sportlern im Zimmer herum oder fliegt ein Sackerl aus dem Fenster? Der Antwort, dass sportmedizinische Utensilien und Geräte im Spitzensport üblich sind, kann Holdhaus noch weniger abgewinnen: „Wenn diese im Besitz eines Arztes sind, ist es okay. Sie gehören aber nicht zur Standard-Ausrüstung eines Sportlers.“ Oder?

Erste Details des IOC-Berichtes

Italiens Behörden stellten laut IOC fest, dass das bei den Razzien gefundene Material professionell vorbereitet gewesen sei. Es sei zudem Know-how vorhanden gewesen – zur Abnahme von Blut, aber auch dessen Einfrieren nach modernsten Möglichkeiten. Das besagt der Bericht, der der Austria-Presse-Agentur vorliegt. Besonderes Augenmerk widmete die Staatsanwaltschaft dem bei Martin Tauber entdeckte Hämoglobin-Messgerät. Es wurde herausgefunden, dass dieses zwischen 10. und 19. Februar 2006 59 Mal benützt worden sei. Stunden vor dem Wettkampf seien mit dem Gerät Werte über dem Grenzwert gemessen worden, die unmittelbar vor dem Start „dramatisch abgesunken“ seien.

Weiters wurden in den Zimmern gefunden: 7 Infektionsnadeln, 2 verschlossene Packungen Spritzen, fünf Transfusions-Vorrichtungen, 2 Infusionsnadeln („Schmetterlinge“), eine Packung Nasivin, 2 Kochsalzlösungen, 3 blutverschmierte Taschentücher, etc. Für das IOC ausreichende Indizien, um auf unerlaubte Manipulation zu schließen.

Mit dem Urteil ist aber die Turin-Affäre noch nicht abgeschlossen. Italiens Staatsanwaltschaft ermittelt und weitere Sanktionen drohen – sowohl vom IOC als auch den Verbänden FIS (Skiverband) und IBU (Biathlon-Verband). Am 2. Mai müssen ÖSV-Direktor Gandler und ÖOC-Generalsekretär Jungwirth Stellung beziehen in Lausanne.

Inline Flex[Faktbox] PRESSESTIMMEN("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.04.2007)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.