Normalbürger erobern die Extremsport-Szene

SPORT. 2200 Sportler starten Sonntag beim Ironman in Klagenfurt. Nur 50 davon sind Profis. Experten und Beteiligte erklären, warum immer mehr Normalbürger Lust an der Qual verspüren.

Wer diesen Sonntag am Wörthersee unterwegs ist, wird Menschen begegnen, die Außergewöhnliches leisten. Und wer die Szenerie schon in den vergangenen Jahren beobachtet hat, wird bemerken: Für immer mehr Durchschnitts-Österreicher sind sportliche Extremleistungen längst Normalität. So wie der in Klagenfurt ausgetragene Ironman Austria, bei dem 3,8 Kilometer Schwimmen, 180 Kilometer Radfahren und 42,195 Kilometer Laufen zu bewältigen sind. Hintereinander, an einem Tag.

Dabei sind die Profisportler in der Minderheit. Die Mehrheit der Teilnehmer stellt längst die Gruppe der ganz normalen Familien-Väter und -Mütter, die im „echten“ Leben tagsüber im Büro arbeiten und die Kinder zur Schule bringen, in ihrer Freizeit aber Dinge tun, die bis vor wenigen Jahren Spitzenathleten vorbehalten waren.

Die Statistik ist eindeutig. Waren beim Ironman in Kärnten 1998 gerade einmal 124 Sportler am Start, ist die Veranstaltung seit 2005 regelmäßig überbucht. Auf Grund des organisatorischen Aufwandes sind nur 2200 Sportler zugelassen. 2007 gab es 2417 Anmeldungen, darunter nur knapp 50 von Profis. Warum sich berufstätige Hobbysportler so etwas überhaupt antun?

„Macht sich gut im Lebenslauf“

„Die erfolgreiche Ironman-Teilnahme macht sich in unserer heutigen Leistungsgesellschaft einfach gut im Lebenslauf“, sagt Christopher Willis, Sportpsychologe am Innsbrucker Institut für Sport- und Kreislaufmedizin. Dabei ist auffällig, dass sich vor allem Personen aus gebildeten und wohlhabenden Schichten diesen Qualen stellen. 55 Prozent der Ironman-Starter haben Matura, 25 weitere einen Hochschul-Abschluss. Das Durchschnittsalter beträgt 38 Jahre. Neun von zehn Teilnehmern sind männlich, 60 Prozent verheiratet.

Die Veranstalter haben auf diesen Trend reagiert. Für Führungskräfte steht in Klagenfurt eine eigene CEO-Wertung im Angebot, in der sich ausschließlich Manager von Unternehmen messen, die einen jährlichen Umsatz von mindestens 5 Mio. Euro (Frauen: 2,5 Mio.) vorweisen.

Abseits eines Eintrags in den Lebenslauf sind die Motive der meisten Hobby-Extremsportler profaner. „Ich bin drauf gekommen, dass sich das Fahrrad gut dazu eignet, alle Ecken und Winkel meiner Heimat kennen zu lernen“, erzählt Marco Mattlschwaiger. Der 32-jährige Nachrichten- und Software-Techniker startet am 14. Juli schon zum dritten Mal bei der Salzkammergut Trophy in Bad Goisern. Der Mountainbike-Marathon gilt als einer der schwersten weltweit. Mattlschwaigers persönliche Bestleistung über die 209 Kilometer und 7000 Höhenmeter über Stock und Stein: 14 Stunden 37 Minuten. „Ich fahre in meiner Freizeit lange und gerne mit dem Mountainbike, und irgendwann habe ich es gemeinsam mit ein paar Freunden einfach versucht.“

Die romantisch-verklärte Darstellung der Medien, dass sich viele wegen der Glücksgefühle (Stichwort: Hormon-Ausschüttung unter Anstrengung) im Ziel auf das dazu notwendige, oft jahrelange Training einlassen, hält er für übertrieben. „Natürlich ist man dann happy, aber für diese kurzen Momente des Glücks allein tut sich das keiner an.“ Soll heißen: Das Wichtigste ist der Spaß an der Sache und das Gefühl, etwas Besonderes geleistet zu haben.

Das größte Problem für Normalbürger mit Extremsport-Ambitionen ist das Zeitbudget. „Wer Beruf und Familie hat, muss auch akzeptieren, dass deshalb keine Weltklasse-Leistungen möglich sind“, weiß der Wiener Diplom-Sportlehrer Fritz Tröstl, der Tennis-Profis wie Boris Becker oder Henri Leconte betreut hat, und nun auch Hobby-Athleten mit Langzeit-Ausdauer-Ambitionen berät. Aber: „Wer die professionelle Hilfe eines Trainers in Anspruch nimmt, kann aus der zur Verfügung stehenden Zeit den größten Nutzen ziehen.“ Leider, so Tröstl, führe krankhafter Ehrgeiz manchmal aber auch dazu, dass selbst Hobbysportler mit Doping nachhelfen. Und wie bei den Profis sei dies insbesondere im Radsport üblich. „Zum Glück sind diese Leute absolut die Ausnahme.“

Krankhafte Sport-Sucht

Allzu intensives Training kann bei Hobby-Extremsportlern jedoch auch zu ernsthaften Erkrankungen führen. Sportpsychologe Christopher Willis schätzt, dass bereits fünf bis sechs Prozent der Aktiven Sport-süchtig sind. Die Symptome: Niedergeschlagenheit, aggressives Verhalten und Kontrollverlust über den Trainingsumfang. Willis: „Das bedeutet nicht, dass jeder, der viel trainiert, gleich ein Problem hat. Aber sobald der Lebenspartner einmal sagt: ,Mir wird es zu viel‘, sollten die Alarmglocken schrillen.“ Siehe auch Seite 12

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.07.2007)

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